O quot undis

Callisto Palombella (1697 – 1758)

Lateinisch:

O quot undis lacrimarum,
Quo dolore volvitur,
Luctuosa de cruento Dum,
revulsum stipite,
Cernit ulnis incubantem
Virgo Mater filium!

Os suave, mite pectus,
Et latus dulcissimum,
Dexteramque vulneratam,
Et sinistram sauciam,
Et rubras cruore plantas
Ægra tingit lacrimis.

Centiesque milliesque
Stringit arctis nexibus
Pectus illud, et lacertos,
Illa figit vulnera:
Sicque tota colliquescit
In doloris osculis.

Eia Mater, obsecramus
Per tuas has lacrimas,
Filiique triste funus,
Vulnerumque purpuram,
Hunc tui cordis dolorem
Conde nostris cordibus.

Esto Patri, Filioque,
Et coævo Flamini,
Esto summæ Trinitati
Sempiterna gloria,
Et perennis laus, honorque
Hoc, et omni sæculo. Amen

Deutsch:

Wieviel Ströme heißer Zähren,
welche Qualen, Stoß um Stoß,
als den Sohn die Schmerzensreiche,
Jungfrau-Mutter sündelos,
nach dem blutgen Tod am Kreuze
liegen sah auf ihrem Schoß.

Mund so süß und Brust so milde
und der wunden Seite Mal,
Hand, die rechte wie die linke,
Füße, von der Nägel Qual
blutgerötet, netzt verschmachtend
sie mit Tränen ohne Zahl.

Hundert-, tausendmal umschlingt sie
ach! so innig, wie sie kann,
jene Brust und jene Arme,
schaut entsetzt die Wunden an,
ganz erweichend, ganz zerfließend
in der Schmerzensküsse Bann.

Heilge Mutter, hör uns flehen,
präge durch die Tränen dein
deines Sohnes bittres Scheiden,
seiner Wunden Purpurschein,
deines Herzens Todesschmerzen
tief in unsre Herzen ein.

Wie dem Vater so dem Sohne,
Geistes gleicher Wesenheit,
Ihr der Dreiheit ohnegleichen,
sei ein ew’ges Lob geweiht,
Lob von nun an ohne Ende
bis in alle Ewigkeit. Amen

Deutsch von Hansjürgen Bertram

fontes

Breviarium Romanum

scholia / marginalia

Die 15 Septembris Septem dolorum B. Mariae Virgins
15. September, Fest der Sieben Schmerzen Mariens

Ad Matutinum
Zur Matutin

Der Verfasser der Hymne, Callisto Maria Palombella (1687 – 1758), über den nur wenig biographische Fakten bekannt sind, war von 1749 – 1758 Bischof von Terracina, Priverno und Sezze; er gehörte dem Servitenorden (Ordo Servorum Beatae Mariae Virginis, O.S.M.) an.

Die beiden von ihm verfassten Klage-Hymnen (O quot undis lacrimarum und Iam toto subitus vesper) stehen in der Tradition späthellenistischer Dichtung, manche Verse können als Anspielungen auf die „Totenfeier für Adonis“ (Klage um Adonis) des Bion von Smyrna (um 100 v. Chr.) gelesen werden.

„Gräßliche, gräßliche Wunde entstellt den Schenkel Adonis’.
Aber Kythere birgt noch größere Wunde im Herzen.“

„Aphrodite vergießt an Tränen so viel, wie Adonis
Blut vergießt ...“

(Deutsch von Emil Staiger, Neue Schweizer Rundschau 15 (1947 – 1948), S. 617ff.)

Ikonographisch ist die Bildvorstellung des Hymnus „Iam toto subitus vesper“ die von der Schmerzensmutter unter dem Kreuz ebenso wie jene des „Stabat mater iuxta crucem“ (im Messformular der Messe zum Fest der Sieben Schmerzen Mariens):

„Christi Mutter stand mit Schmerzen
bei dem Kreuz und weint von Herzen,
als ihr lieber Sohn da hing ...

Im Hymnus „O quot undis lacrimarum“ dagegen ist die Bildvorstellung die der Schmerzensmutter (mater dolorosa), die den Leichnam ihres vom Kreuz abgenommenen Sohnes auf dem Schoß hält. Diese ikonographische Darstellung wird als Pietà (domina nostra de pietate), aber auch als Vesperbild oder Marienklage bezeichnet.

metrum

Versmaß: Trochäische Tetrameter, sechszeilige Strophen

Kontakt/ImpressumDatenschutz