Adventu sancti spiritus
Geschrieben von: Petrus Abaelardus
Petrus Abælardus (*1079 – †1142)
Lateinisch:
Adventu sancti spiritus
Nostri cordis altaria
Ornans, Deus, virtutibus
Tu tibi templa dedica,
Illa septiformi, quam habes, gratia
Contra septem illa dæmonia,
Cuius dona bona sunt omnia.
Per timorem nos Domini
Primum al malo liberat,
Ut pauper huius sæculi
Cœlum dives introeat;
Tu hanc da, Domine, da nobis gratiam,
Pœnam reis ne reddas debitam,
Sed nomini tuo da gloriam.
Da pietatis viscera,
Ne superet temptatio,
Mites facit hæc gratia,
Quorum terra possessio;
Et hanc da, Domine, da nobis gratiam,
Pœnam reis ne reddas debitam,
Sed nomini tuo da gloriam.
Apponis et scientiam,
Per quam flenda cognoscimus
Consolaris per veniam,
Cum hanc primo fecerimus;
Et hanc da, Domine, da nobis gratiam,
Pœnam reis ne reddas debitam,
Sed nomini tuo da gloriam.
Fortitudine roboras
Esuriem iustitiæ,
Veri panis saturitas
Viaticum est animæ;
Et hanc da, Domine, da nobis gratiam,
Pœnam reis ne reddas debitam,
Sed nomini tuo da gloriam.
Summum illud consilium
Das de misericordia,
Ut idem reddas præmium,
Vis hanc, non sacrificia;
Et hanc da, Domine, da nobis gratiam,
Pœnam reis ne reddas debitam,
Sed nomini tuo da gloriam.
Intellectus es spiritus,
Quo videtur divinitas
Mundi cordis luminibus,
Hæc est regni sublimitas;
Et hanc da, Domine, da nobis gratiam,
Pœnam reis ne reddas debitam,
Sed nomini tuo da gloriam.
Das tandem sapientiam,
Per quam fiant pacifici,
Nomen patris sanctificans,
In quo sint Dei filii;
Et hanc da, Domine, da nobis gratiam,
Pœnam reis ne reddas debitam,
Sed nomini tuo da gloriam.
Apostolorum precibus,
Quos hac in die consecras,
Isdem nos charismatibus
Confirma, quos regeneras
Illa septiformi, quam habes, gratia
Contra septem illa dæmonia,
Cuius dona bona sunt omnia.
Deutsch:
Bei heilgen Geistes Ankunft, Herr,
schmück unsrer Herzen Altar aus
und weihe sie zum Tempel dir
mit aller Tugend hellstem Glanz.
Führ deiner Gnaden Siebenzahl
entgegen dem Dämonenheer.
Denn alles Gute kommt von dir.
Die Ehrfurcht ist es ja, o Herr,
die uns vom Bösen ganz befreit,
auf dass, wer arm in dieser Welt,
als Reicher in den Himmel tritt.
Schenk, Herr, uns diese deine Gnad',
tilg Sündern die verdiente Straf',
mach Ehre so dem Namen dein.
Gieß Frömmigkeit uns tief in Herz,
dass die Versuchung nicht obsieg'.
Sanftmütig macht uns solche Gnad'.
So wird das Land uns zum Besitz.
Schenk, Herr, uns diese deine Gnad',
tilg Sündern die verdiente Straf',
mach Ehre so dem Namen dein.
Schenk auch des Wissens Gnad' dazu,
lass weinen uns, dass wir verstehn,
die Reue zieht den Trost herbei,
die der Verzeihung geht voraus.
Schenk, Herr, uns diese deine Gnad',
tilg Sündern die verdiente Straf',
mach Ehre so dem Namen dein.
Mit Tapferkeit verstärkst du uns
den Hunger auf Gerechtigkeit.
Des wahren Brotes Sättigung
ist letzter Reise Seelenspeis.
Schenk, Herr, uns diese deine Gnad',
tilg Sündern die verdiente Straf',
mach Ehre so dem Namen dein.
Solch guten Ratschlag, den du gibst,
den gibst du aus Barmherzigkeit.
Dass du denselben Lohn uns reichst,
Willst Mitleid und nicht Opfer du.
Schenk, Herr, uns diese deine Gnad',
tilg Sündern die verdiente Straf',
mach Ehre so dem Namen dein.
Erkenntnis bist du, Heilger Geist,
lässt uns des Weltalls Göttlichkeit
mit innerster Erleuchtung schaun:
dies ist des Lichtreichs höchste Höh'.
Schenk, Herr, uns diese deine Gnad',
tilg Sündern die verdiente Straf',
mach Ehre so dem Namen dein.
Schenk schließlich Weisheit noch dazu,
Friedfertigkeit ist ihre Frucht.
Des Vaters Namen heiligt sie.
Wer Gottes Kind ist, ruht in ihr.
Schenk, Herr, uns diese deine Gnad',
tilg Sündern die verdiente Straf',
mach Ehre so dem Namen dein.
Auf Bitten der Apostelschar,
die du an diesem Tag geweiht,
stärk uns mit gleichem Gnadenmut,
der gleicherweis uns neu gebiert.
Führ deiner Gnaden Siebenzahl
entgegen dem Dämonenheer.
Denn alles Gute kommt von dir.
Deutsch von Hansjürgen Bertram
fontes
Petri Abaelardi peripatetici palatini Hymnarius Paraclitensis sive Hymnorum libelli tres. Ad fidem codicum Bruxellensis et Calmontani. Edidit Guido Maria Dreves, S.J. Parisiis 1891 (Reprint BiblioLife), S. 135ff.
Peter Abelard's Hymnarius Paraclitensis. An annotated edition with introduction by Joseph Szövérffy. I. Introduction to Peter Abelard's Hymns. Albany, N.Y. and Brookline, Mass. 1975
Peter Abelard's Hymnarius Paraclitensis. An annotated edition with introduction by Joseph Szövérffy. II. The Hymnarius Paraclitensis. Text and Notes. Albany, N.Y. and Brookline, Mass. 1975, S. 147ff.
scholia / marginalia
In festo Pentecostes. In primo Nocturno
An Pfingsten. Zur ersten Nokturn
In den Strophen 2 bis 7 werden die sieben Gaben des heiligen Geistes (Weisheit, Verstand, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit, Gottesfurcht) gefeiert und den sieben Todsünden gegenübergestellt (contra septem illa daemonia).
Die sieben Gaben des heiligen Geistes werden in der Hymnen- und Sequenzendichtung oft erwähnt, so etwa in den Sequenzen "Veni, creator Spiritus" (tu septiformis munere) oder "Veni, sancte spiritus" (sacrum septenarium).
"Totus est hymnus in septem donis, quae vocant, Spiritus sancti explicandis. …" Petri Abaelardi peripatetici palatini Hymnarius Paraclitensis sive Hymnorum libelli tres. Ad fidem Bruxellensis et Calmontani. Edidit Guido Maria Dreves, S.J. Parisiis 1891 (Reprint BiblioLife), p. 186
"This and the following hymns are among the most interesting specimens of Abelardian hymnody. Already the external features indicate the special interest that Abelard had in composing these hymns. While the Easter hymns are related to the rondeau from trough the use of internal refrain, these Pentecostal hymns have an end refrain. In this particular hymn, the end refrain varies somewhat. After the first four lines, in the first stanza and the doxology, the end refrains refers to the seven gifts of the Holy Ghost, contrasted with seven deadly sins (…) Stanzas 2 - 8 have a refrain asking for grace an for forgiveness. Thus the refrain structure can be described as ABBBBBBBA, i.e. it shows a return to the beginning of the hymn."
Peter Abelard's Hymnarius Paraclitensis. An annotated edition with introduction by Joseph Szövérffy. II. The Hymnarius Paraclitensis. Text and Notes. Albany, N.Y. and Brookline, Mass. 1975, p. 147
Petrus Abaelardus ist neben Anselm von Canterbury der bedeutendste, wenn auch ein umstrittener, Philosoph und Theologe des 12. Jahrhunderts.
Petrus Abaelardus war ein Aufklärer und vertrat Jahrhunderte vor René Decartes und den Aufklärern den Vorrang der Vernunft in der Diskussion philosophischer und theologischer Fragen. Dubitando enim ad inquisitionem venimus; inquirendo veritatem percipimus. (Sic et Non, 1122/23) (Durch Zweifeln gelangen wir zum Fragen; fragend erkennen wir die Wahrheit.) Petrus Abaelardus aber war nicht nur Philosoph und Theologe, er war auch ein Dichter von Rang. Für das Kloster Paraklet, dem Heloisa vorstand, verfasste er nicht nur eine Ordensregel und Predigten, sondern auch Hymnen. Es ist das einzige Hymnar aus der Hand eines einzigen Dichters, das aus dem Mittelalter überliefert ist. "Abälard, der Peripatetiker von Palais, der Abt von St. Gildas, der Widersacher des hl. Bernhard und der Schutzbefohlene Peters des Ehrwürdigen, ist von jeher eine der merkwürdigsten Gestalten in der Geschichte der theologisch-philosophischen Kämpfe des Mittelalters gewesen. Sein ganzes Leben ist ein ununterbrochener Roman, wie man ihn sich abwechslungs- und wirkungsreicher kaum denken kann. Was Wunder, wenn dies abenteuernde Leben wieder und wieder beschrieben wurde. (...)
Wir wollen uns vielmehr auf eine einzige literarische That Abälards, auf das von ihm verfaßte Hymnar der Abtei Paraklet beschränken. Ist doch über dem Philosophen der Dichter Abälard so gut wie vergessen worden, obgleich zu den Lebzeiten des genialen Mannes der Ruf des letzteren dem des ersteren kaum nachstand. Aber es sind die weltlichen Lieder Abälards im Strome der Zeiten verrauscht und verklungen, und seine geistlichen Lieder theilten das Schicksal der Hymnenliteratur überhaupt: es war dafür wenig Verständniß, wenig Interesse vorhanden. Abälard war kühn und bahnbrechend in der heiligen Poesie: kühn, weil er der erste und einzige Autor ist (es könnte neben ihm nur noch der späte Santeuil in Betracht kommen), der ein gesammtes liturgisches Hymnar verfaßte; bahnbrechend, weil er sich dabei eines neuen, zum Theil sehr künstlichen Versbaues befliß, vermöge dessen er als einer jener Autoren angesehen werden muß, auf deren Schultern die ganze wundervolle Blütezeit lateinischer Rhythmendichtung steht, welche mit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begann, das ganze 13. hindurch anhielt und nur langsam im 14. von ihrer Höhe herabsank. (...)
Daß Abälard überhaupt dichterisch thätig war und, wie das ja im frühen Mittelalter noch vielfach zu geschehen pflegte, seine Gedichte auch selbst mit Melodien versah, dafür haben wir sowohl sein eigenes als Heloise's Zeugniß. Von der Existenz eines durch Abälard verfaßten Hymnars aber gab jederzeit der kurze Widmungsbrief Nachricht, welcher sich vor dem Buche der Predigten befindet und in welchem der Verfasser Heloise mittheilt, er sende ihr, nachdem er erst unlängst auf ihre Bitten hin ein Buch Hymnen oder Sequenzen verfaßt, nunmehr eine Sammlung geistlicher Vorträge und Unterweisungen für ihr Kloster Paraklet."
Guido Maria Dreves, Der Philosoph von Palais als Hymnopoet. In: Stimmen aus Maria-Laach. Katholische Blätter. Einundvierzigster Band. Freiburg i.Br. 1891, S. 426f.
Literatur
Petri Abaelardi peripatetici palatini Hymnarius Paraclitensis sive Hymnorum libelli tres. Ad fidem Bruxellensis et Calmontani. Edidit Guido Maria Dreves, S.J. Parisiis 1891 (Reprint BiblioLife)
Peter Abelard's Hymnarius Paraclitensis. An annotated edition with introduction by Joseph Szövérffy. I. Introduction to Peter Abelard's Hymns. Albany, N.Y. and Brookline, Mass. 1975
Peter Abelard's Hymnarius Paraclitensis. An annotated edition with introduction by Joseph Szövérffy. II. The Hymnarius Paraclitensis. Text and Notes. Albany, N.Y. and Brookline, Mass.
1975 Guido Maria Dreves, Der Philosoph von Palais als Hymnopoet. In: Stimmen aus Maria-Laach. Katholische Blätter. Einundvierzigster Band. Freiburg i.Br. 1891, S. 426 - 448
Chrysogonus Waddell, Peter Abaelard as creator of liturgical texts. - In: Rudolf Thomas (Hg.), Peter Abaelard, Person, Werk, Wirkung (Trierer Theologische Studien 38), Trier 1980
metrum
Vierzeilige Strophen, trochäische Vierheber, gereimt.
Im RefrainWechsel daktylischer und iambischer Metren.
Zum Strophenbau siehe auch: Petri Abaelardi peripatetici palatini Hymnarius Paraclitensis sive Hymnorum libelli tres. Ad fidem codicum Bruxellensis et Calmontani. Edidit Guido Maria Dreves, S.J. Parisiis 1891 (Reprint BiblioLife), S. 186.
Die graphische Anordnung der Verszeilen ist in den verschiedenen Textausgaben unterschiedlich.