Veris grato tempore

Petrus Abælardus (*1079 – 1142)

Lateinisch:

Veris grato tempore
Resurrexit Dominus,
Mundus reviviscere
Cum iam incipit,
Auctorem resurgere
Mundi decuit.

Cunctis exsultantibus
Resurrexit Dominus,
Herbis renascentibus
Frondent arbores,
Odores ex floribus
Dant multiplices.

Transacta iam hieme
Resurrexit Dominus,
In illa perpetuæ
Vitæ gaudia,
Nullius molestiæ
Quæ sunt conscia.

Qui restauret omnia,
Resurrexit Dominus,
Tamquam ista gaudia
Mundus senserit,
Cum carne dominica
Iam refloruit.

Deo patri gloria,
Resurrexit Dominus,
Salus et victoria
Christo Domini,
Par honor per sæcula
Sit spiritui.

Deutsch:

In dieser lieblichen Frühlingszeit
ist der Herr auferstanden,
und wenn die Welt sich
wieder zu beleben beginnt,
ist es Zeit für den Schöpfer
der Welt aufzuerstehen.

Für alle Frohlockenden
ist auferstanden der Herr,
die Pflanzen beginnen zu wachsen,
die Bäume sind wieder belaubt
mancherlei Düfte
verströmen die Blumen.

Schon ist der Winter vergangen,
auferstanden ist der Herr,
in jene Freude
des ewigen Lebens,
wo es keinerlei
Verdruss gibt.

Wenn der Herr, der alles
erneuert, auferstanden ist,
fühlt die Welt
diese Freude,
wenn das Tote
wieder auflebt.

Gott, dem Vater die Ehre,
auferstanden ist der Herr,
Christus das Heil und
den Sieg des Herrn,
gleicherweise die Ehre dem
Heiligen Geist für alle Zeit.

Deutsch von René Strasserr

fontes

Petri Abaelardi peripatetici palatini Hymnarius Paraclitensis sive Hymnorum libelli tres. Ad fidem codicum Bruxellensis et Calmontani. Edidit Guido Maria Dreves, S.J. Parisiis 1891 (Reprint BiblioLife), S. 126
Peter Abelard's Hymnarius Paraclitensis. An annotated edition with introduction by Joseph Szövérffy. I. Introduction to Peter Abelard's Hymns. Albany, N.Y. and Brookline, Mass. 1975
Peter Abelard's Hymnarius Paraclitensis. An annotated edition with introduction by Joseph Szövérffy. II. The Hymnarius Paraclitensis. Text an Notes. Albany, N.Y. and Brookline, Mass. 1975, S. 132f.

scholia / marginalia

In Paschale Domini.
Ad Laudes Hymne zu Ostern. Zu den Laudes

Das Wiedererwachen der Natur im Frühling ist ein Symbol für die Auferstehung.

Auch Adam von Sankt Viktor feiert in seiner Ostersequenz "Mundi renovatio" die Wiederkehr des Frühlings und das Erwachen der Natur.

Der in jeder Strophe wiederholte Vers "Resurrexit Dominus" bezieht sich wohl auf Math. 28,6: "Surrexit enim, sicut dixit" und Lukas 24,34: "surrexit Dominus vere".

Petrus Abaelardus ist neben Anselm von Canterbury der bedeutendste, wenn auch ein umstrittener, Philosoph und Theologe des 12. Jahrhunderts.

Petrus Abaelardus war ein Aufklärer und vertrat Jahrhunderte vor René Decartes und den Aufklärern den Vorrang der Vernunft in der Diskussion philosophischer und theologischer Fragen. Dubitando enim ad inquisitionem venimus; inquirendo veritatem percipimus. (Sic et Non, 1122/23) (Durch Zweifeln gelangen wir zum Fragen; fragend erkennen wir die Wahrheit.)

Petrus Abaelardus aber war nicht nur Philosoph und Theologe, er war auch ein Dichter von Rang. Für das Kloster Paraklet, dem Heloisa vorstand, verfasste er nicht nur eine Ordensregel und Predigten, sondern auch Hymnen. Es ist das einzige Hymnar aus der Hand eines einzigen Dichters, das aus dem Mittelalter überliefert ist.

Im "Hymnarium" sollen künftig weitere Hymnen von Petrus Abaelardus vorgestellt werden.

"Abälard, der Peripatetiker von Palais, der Abt von St. Gildas, der Widersacher des hl. Bernhard und der Schutzbefohlene Peters des Ehrwürdigen, ist von jeher eine der merkwürdigsten Gestalten in der Geschichte der theologisch-philosophischen Kämpfe des Mittelalters gewesen. Sein ganzes Leben ist ein ununterbrochener Roman, wie man ihn sich abwechslungs- und wirkungsreicher kaum denken kann. Was Wunder, wenn dies abenteuernde Leben wieder und wieder beschrieben wurde. (...)
Wir wollen uns vielmehr auf eine einzige literarische That Abälards, auf das von ihm verfaßte Hymnar der Abtei Paraklet beschränken. Ist doch über dem Philosophen der Dichter Abälard so gut wie vergessen worden, obgleich zu den Lebzeiten des genialen Mannes der Ruf des letzteren dem des ersteren kaum nachstand. Aber es sind die weltlichen Lieder Abälards im Strome der Zeiten verrauscht und verklungen, und seine geistlichen Lieder theilten das Schicksal der Hymnenliteratur überhaupt: es war dafür wenig Verständniß, wenig Interesse vorhanden.
Abälard war kühn und bahnbrechend in der heiligen Poesie: kühn, weil er der erste und einzige Autor ist (es könnte neben ihm nur noch der späte Santeuil in Betracht kommen), der ein gesammtes liturgisches Hymnar verfaßte; bahnbrechend, weil er sich dabei eines neuen, zum Theil sehr künstlichen Versbaues befliß, vermöge dessen er als einer jener Autoren angesehen werden muß, auf deren Schultern die ganze wundervolle Blütezeit lateinischer Rhythmendichtung steht, welche mit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begann, das ganze 13. hindurch anhielt und nur langsam im 14. von ihrer Höhe herabsank. (...)
Daß Abälard überhaupt dichterisch thätig war und, wie das ja im frühen Mittelalter noch vielfach zu geschehen pflegte, seine Gedichte auch selbst mit Melodien versah, dafür haben wir sowohl sein eigenes als Heloise's Zeugniß. Von der Existenz eines durch Abälard verfaßten Hymnars aber gab jederzeit der kurze Widmungsbrief Nachricht, welcher sich vor dem Buche der Predigten befindet und in welchem der Verfasser Heloise mittheilt, er sende ihr, nachdem er erst unlängst auf ihre Bitten hin ein Buch Hymnen oder Sequenzen verfaßt, nunmehr eine Sammlung geistlicher Vorträge und Unterweisungen für ihr Kloster Paraklet."
Guido Maria Dreves, Der Philosoph von Palais als Hymnopoet. In: Stimmen aus Maria-Laach. Katholische Blätter. Einundvierzigster Band. Freiburg i.Br. 1891, S. 426f.

Literatur

Petri Abaelardi peripatetici palatini Hymnarius Paraclitensis sive Hymnorum libelli tres. Ad fidem Bruxellensis et Calmontani. Edidit Guido Maria Dreves, S.J. Parisiis 1891 (Reprint BiblioLife)
Peter Abelard's Hymnarius Paraclitensis. An annotated edition with introduction by Joseph Szövérffy. I. Introduction to Peter Abelard's Hymns. Albany, N.Y. and Brookline, Mass. 1975
Peter Abelard's Hymnarius Paraclitensis. An annotated edition with introduction by Joseph Szövérffy. II. The Hymnarius Paraclitensis. Text an Notes. Albany, N.Y. and Brookline, Mass. 1975
Guido Maria Dreves, Der Philosoph von Palais als Hymnopoet. In: Stimmen aus Maria-Laach. Katholische Blätter. Einundvierzigster Band. Freiburg i.Br. 1891, S. 426 - 448
Chrysogonus Waddell, Peter Abaelard as creator of liturgical texts. - In: Rudolf Thomas (Hg.), Peter Abaelard, Person, Werk, Wirkung (Trierer Theologische Studien 38), Trier 1980

metrum

Sechszeilige Strophen, bestehend aus Versen unterschiedlicher Länge zu 7/7/7/5/7/5 Silben. Reimschema: axabab
Die graphische Anordnung der Verszeilen ist in den verschiedenen Textausgaben unterschiedlich.

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