Laus Deo patri
Geschrieben von: Anonymus
Anonym
Lateinisch:
De s. Maria Aegyptiaca
Laus Deo patri ejusque nato
pariterque pneumati beato.
Laus ejus unica
unaque est actio
Et agendorum par
potestas et ratio.
Mundi redemptor, te nostra
personent organa,
Sine reatu reorum
qui tollis crimina.
Cuius benignitas
Jerichonteam civem jam
fecit alienigenam,
Ejus clementia
nigram peccatis Mariam
candidavit Niliacam.
Hæc primo sæculi
male blandis gaudiis
applicat animum,
Porcorum convictu
fœdata revertitur
ad patris gremium.
Templis excluditur
dominicis, lacrimis
rigat pedes virginis
mœrendo, lugendo
semet cruciat
damnans, quæ gesserat.
Virgo puerpera
gemiscentem miseram
miserans pœnitentem
exaudit, emundat,
lavat, expiat,
aditum reserat.
Hæc sunt solemnia
quæ tu efficis,
o patris sapientia,
Ove centesima,
dragma perdita,
recepta tua gratia.
Post hæc subintrat
portum eremi procellis
enatans sæculi,
sene sancto
quo visitatur et vitæ
ferclis saturatur.
Angelicis sublevatur
orans a tellure
manibus
Et cœlicis sociatur
cœlo cœli civis
civibus.
O Christe, rex celebris,
leo fit funeris
sacri tumulator,
verna fidus
mitis ex effero.
Quam te decent talia
solus miracula,
qui in sanctis tuis,
facis aurum
conflans ex sabulo.
Quid, David, tu scis
tangens te quoque peccatrix,
latro, Petrus
et Matthæus.
Quisnam emollit
corda dura, quis indulget
culpis gratis
nisi Deus.
Rex regum, fili Mariæ
inspira peccatorum
nobis pœnitentiam
pro gratia dans gratiam.
Von der heiligen ägyptischen Maria
Deutsch:
Lob Gott, dem Vater, seinem Sohn
und gleicherweise dem heiligen Geist.
Sein Lob und sein Handeln
ist einzigartig,
Ebenso die Kraft und Vernunft dessen,
was getan werden soll.
Erlöser der Welt, dich preisen
unsere Instrumente,
Der du die Vergehen der Schuldigen
ohne Anklage tilgst.
Seine Güte machte
die Fremde zu einer Bürgerin
aus Jericho,
Seine Barmherzigkeit machte
die schwarze Maria vom Nil
von Sünden rein.
Zuerst wendet diese
ihren Sinn verführerischen
Freuden der Welt zu,
Nachdem sie sich durch das Zusammenleben
mit Hurern besudelt hatte, kehrt sie
in den Schoß des Vaters zurück.
Sie wird aus den Tempeln
des Herrn ausgeschlossen, mit Tränen
netzt sie die Füße der Jungfrau,
trauernd, klagend,
peinigt sich,
bereut, was sie getan hatte.
Die Jungfrau erbarmt
sich der armen,
seufzenden Sünderin,
erhört sie, reinigt sie,
wäscht und entsühnt sie,
und eröffnet ihr den Zutritt.
Dies sind die Wunderwerke,
die du bewirkst,
o Weisheit des Vaters,
Das hundertste Schaf und die
verlorene Drachme wurden
durch deine Güte wiedergefunden.
Danach betritt sie den Zufluchtsort
der Wüste, den Stürmen der
Welt entkommend,
Vom heiligen Greis wird
sie besucht und mit der
Speise des Lebens gesättigt.
Von den Engeln wird die
Betende mit Händen von
der Erde emporgehoben
Und den Himmlischen wird sie
beigesellt, im Himmel als Bürgerin
den Bürgern des Himmels.
O Christ, großer König,
der Löwe wird zum
Bereiter des heiligen Grabes,
von einem wilden zu einem
sanften, milden Helfer geworden.
Wie sehr zieren dich als einzigen
solche Wunder,
der du in deinen Heiligen
Gold machst, indem du es
aus dem Wüstensand bläst.
Was weißt du, David,
da auch dich eine Sünderin berührte,
und ihr Petrus und
Matthäus, ihr Betrüger.
Wer erweicht denn
die verhärteten Herzen, wer ist
umsonst nachsichtig gegenüber Schuld,
wenn nicht Gott.
König der Könige, Sohn Marias,
gewähre uns Reue
über unsere Fehler,
gib uns Gnade anstelle von Dank.
Deutsch von René Strasser
fontes
Analecta Hymnica Medii Aevi. VIII. Sequentiae ineditae. Liturgische Prosen des Mittelalters aus Handschriften und Wiegendrucken. Erste Folge herausgegeben von Guido Maria Dreves. Leipzig 1890, S. 174f.
Hermann Knust, Geschichte der Legenden der h. Katharina von Alexandrien und der h. Maria Aegyptiaca nebst unedirten Texten. Halle a.S. Max Niemeyer, 1890
Konrad Kunze, Studien zur Legende der heiligen Maria Aegyptiaca im deutschen Sprachgebiet. Philologische Studien und Quellen, Heft 49. Berlin, Erich Schmidt Verlag, 1969
Konrad Kunze (Hg.), Die Legende der heiligen Maria Aegyptica: Ein Beispiel hagiographischer Überlieferung in 16 unveröffentlichten deutschen, niederländischen und lateinischen Fassungen. Berlin, Erich Schmidt Verlag, 1978
Ferdiand Deycks, Goethe's Faust. Andeutungen über Sinn und Zusammenhang des ersten und zweiten Theiles der Tragödie. Zweite, stark vermehrte und verbesserte Ausgabe. Mit alten Legenden. Prag, 1870. S. 315 - 330 (frühere Auflagen 1834, 1855)
Karl Loemke, Wilhelm Kienberger, Die Wies. Wallfahrtskirche zum gegeißelten Heiland. Lechbruck, Verlag Kienbeger, o.J.
scholia / marginalia
Festtag der Heiligen ist der 2. April.
Sophronius von Jerusalem (560 - 638) wird die älteste griechisch abgefasste Fassung der Legende von der Büßerin Maria Aegyptiaca zugeschrieben. Paulus Diaconus (730 - 799) hat sie ins Lateinische übersetzt. Ferdinand Deycks (1802 - 1867) übertrug die lateinische Fassung, leicht gekürzt, ins Deutsche. Sie findet sich in seinem Werk über Goethes Faust: Ferdiand Deycks, Goethe's Faust. Andeutungen über Sinn und Zusammenhang des ersten und zweiten Theiles der Tragödie. Zweite, stark vermehrte und verbesserte Ausgabe. Mit alten Legenden. Prag, 1870. S. 315 - 330 (frühere Auflagen 1834, 1855)
Attribut der Heiligen sind drei Brote. Nach der Legende gab ihr ein Unbekannter drei Münzen, wovon sie drei Brote kaufte.
Die vorliegende Sequenz wurde 1437 und 1579 veröffentlicht.
Auffällig ist, dass diese Sequenz mit einer Art Doxologie beginnt. Sie setzt sich gar in der ersten und zweiten Strophe der einander paarweise zugeordneten Strophen (als Strophe und Gegenstrophe) fort. Erst die Gegenstrophe der zweiten Strophe leitet dann inhaltlich über zum Gegenstand der Sequenz. – Inhaltlich entspricht damit die Einleitung der Sequenz der letzten Strophe derselben (Doxologie). Sowohl am Anfang (Laus Deo) wie am Schluss (Rex Regum) der Sequenz wird Gott angerufen.
Strophe Ove centesimo
Ove centesimo Anspielung auf den guten Hirten, der hundert Schafe weidet. Als das Hundertste verlorengeht, lässt er die andern neunundneunzig zurück, um das verlorene zu suchen. (Lukas 15, 4-7, Matthäus 18,12-13)
Dragma perdita Das Gleichnis von der verlorenen Drachme. Lukas 15, 8-10
Strophe Quid, David, tu scis
David David hatte mit Batseba, der Frau seines Feldherrn Urias, geschlafen, und als sie schwanger war, entledigte sich David seines Feldherrn, indem er dafür sorgte, dass dieser im Feld umkam. 2 Sam 11,1-26
Matthäus, Räuber Als Zöllner hat Matthäus möglicherweise ungerechtfertigte Zölle erhoben und sich selbst bereichert, wie das damals den Zöllnern allgemein vorgeworfen wurde. Matthäus 9, 9-13
Petrus Weshalb Petrus hier in diesem Zusammenhang erwähnt wird, ist unklar. Möglicherweise eine Anspielung auf die Verleugnung des Petrus. Markus 14, 66-72, Matthäus 26, 69-75, Lukas 22, 56-62 Die Wortbedeutung von lat. latro ist Räuber.
Die berühmten Sünder, Büßer und Reumütigen sind immer wieder als Beispiel und Vorbild gestaltet worden. In der Wieskirche etwa sind sie Teil eines eigentlichen Programms.
Im Altarbild des südlichen Seitenaltars ist der reumütige Petrus dargestellt (Lk. 22,54-62), im Altarbild des nördlichen Seitenaltars wäscht Maria aus Magdala (?) Jesus die Füße (Lk. 7,36-50). Links des Altarbildes steht die Gestalt der ägyptischen Maria, allerdings nicht in ihrer härenen Tracht, wie sie meist dargestellt wird, rechts davon Margareta von Cortona.
Auch die Fresken des Umgangs gestalten das Thema der Buße und Umkehr: der Zöllner Zachäus (Lk. 19,1-10), der Schächer am Kreuz (Lk. 23,39-43), die Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin (Joh. 8,3-11), der reumütige Petrus (Lk. 22,54-62); im Chorbogen wiederum die Sünderin, die Jesus die Füße wäscht (Lk. 7,36-50), und gleichsam als Gegenstück im Fresko über der Empore König David, der vom Propheten Nathan wegen seines Ehebruchs getadelt wird (2 Sam. 12,1-15).
Hymnen oder Sequenzen, die der Maria Aegyptiaca gewidmet sind, gibt es nur wenige; eine weitere aus dem 14. Jahrhundert wurde 1855 von Franz Josef Mone veröffentlicht.
Mariae Aegptiacae
Ex Aegypto Pharaonis
in amplexum Salomonis
nostri transit filia,
ex abjecta fit electa,
ex rugosa fit formosa
ex lebete philia.
Stella maris huic illuxit
ad dilectum quam conduxit
pacis nectens fœdera;
matre dei mediante
peccatrici, Christo dante,
sunt dimissa scelera.
Vitam ducens hæc carnalem
pervenit in Jherusalem
nuptura pacifico,
hinc excluso andultero
maritatus sponso vero
ornate mirifico.
Dei templum intoire
dum laborat, mox redire
necdum digna cogitur;
ad cor suum revertitut,
fletu culpa submergitur,
fletu culpa teritur.
Locus desertus quæritur,
Leviathan conteritur
mundus, caro vincitur,
domus patris postponitur
vultus mentis composnitur,
decor carnis spernitur.
Lætare filia Thanis,
tuis ornata tympanis,
lauda quondam sterilis,
gaude plaude casta munda,
vitutum prole fœcunda,
vitis meri fertilis.
Te dilexit noster risus,
umbilicus est præcisus
tuus continentia,
aquis lotam, pulchram totam
te salivit te condivit
sponsi sapientia.
Septem pannis involuta,
intus tota delibuta
oleo lætitiæ,
croco rubens caritatis,
bysso cincta castitatis,
zona pudicitiæ.
Hinc hyacintho calciaris,
dum superna contemplaris,
mutatis affectibus
vestiris, discoloribus
cubile vernat floribus,
flagrat aromatibus.
O Maria, gaude, quia
decoravit et amavit
sic te Christi gratia,
memor semper peccatorum
et cunctorum populorum
plaude nunc in gloria.
F.J. Mone, Lateinische Hymnen des Mittelalters, 3. Band, Heiligenlieder, Freiburg i.B. 1855, S. 414, Nr. 1052
Die Legende findet sich auch in der Legenda aurea des Jacobus de Voragine und im Passional; die Fassung aus letzterem folgt hier:
Von St. Maria Ägptika
Ein guter Mönch hieß Zosimas, der fliß sich aller Tugend und Gerechtigkeit und meinet, er lebe also härtiglich, als einer auf dem Erdreich. Da er sich das gedacht, da kam ein Engel zu ihm gar zorniglich und sprach: "Geh mir nach! So will ich dich zu einem Menschen führen, der viel gerechter und göttlicher lebet dann du. Und Gottes Gebot hält Tag und Nacht besser als du." Da ging der Mönch mit dem Engel aus dem Kloster, und kamen zu dem Jordan zu einem andern Kloster. Da sprach der Engel zu dem Mönch: "Geh in das Kloster, und lern den Orden! Wann den söllst du behalten bis an deinen Tod." Darmit schied der Engel von ihm.
Da ging Zosimas in das Kloster und lernet die Regel. Die Mönche mußten arbeiten und ihre Tageszeit vollbringen und sich sehr zwingen. Und litten große Arbeit durch Gott. Wann sie von Kraut und Erbsen fanden, die gab man ihnen. Nun hätten sie eine Sitte: wann die Fasten kamen, nahmen sie Unsers Herrn Fronleichnam und ließen einen oder zween in dem Kloster. Und die anderen gingen all in den Wald und waren darin bis an den Grünen Donnerstag. Und trug ein jeglicher ein Brot mit sich oder Palmblumen, des er in den vierzig Tagen wöllt geleben. Etliche aßen Wurzen, und war je einer vor dem andern und jeglicher allein in dem Walde. Einer hätt die Übung, der ander eine andere.
Da ging Zosimas in den Wald und nahm sich zur Buß, daß er ging, so schnell er mocht, und leget sich nicht nieder des Nachts. Wann der krank war, so saß er eine Weil nieder, und des Morgens ging er wieder fürbaß durch Gott. Und da er in dem Wald war dreißig Tag gegangen, da war er zu Mittag an seinem Gebet. Da sah er einen Menschen nahe bei sich, der war nacket und hätt lange Haare an sich. Da wöllt er wähnen, es wäre ein Tier, und eilet ihm nach. Da sah er, daß es ein Mensch war, und rief ihm: "Bleib hier durch Gott, durch den du dich kasteiest." Da floh es schnell hin durch den Wald vor Scham, bis es an ein Wasser kam. Da saß es nieder und rief ihm hin wider, wann sie wußt seinen Namen wohl von dem Einsprechen des Heiligen Geistes:
"Zosima, lieber Vater, vergib mir, daß ich dein Gebieten nicht höre! Wann ich schäm mich und bin eine nackende Frau. Willst du mit mir reden, so lege deinen Mantel von dir, daß ich mich damit bedecke, so will ich mit dir reden." Da sie den Mönch nennet, so verstund er wohl, daß sie des Heiligen Geistes voll war. Und zog den Mantel ab und wich von dannen, bis sie ihn an leget. Da sprach sie zu dem Mönch: "Zosima, mein Vater, was willst du mein?" Da lief Zosimas zu ihr und fiel ihr zu Füßen und bat sie, daß sie ihn gesegne. Da sprach sie: "Du bist ein Priester und ein Knecht Gottes, davon ist recht, daß du mir den Segen söllest geben." Das wollte Zosimas nicht tun. Da sprach sie: "Gesegnet sei Gottes ohn allle Maßen, der nichts begehret, dann der Seelen Heil! Der behüt dir dein Seel und Leib zu aller Zeit." Sprach Zosimas. "Amen!"
Darnach sprach Zosimas: "Liebe Frau, bitt Gott mit Andacht, daß er Christi Glauben bestäte. Das ist der Christenheit not. Wann die Welt ist voll Untreu." Da er das sprach, da sah die Frau auf gen Himmel und bat Gott mit Andacht, daß er die Irrsal durch seine Barmherzigkeit zerstöre. Und zuhand ward sie von der Erden einen Klafter hoch aufgehoben. Da das Zosimas sah, gedacht er, sie wäre ein Geist, und Gottes Gnade wäre mit ihr. Und er fiel für sie nieder. Da sprach sie: "Vater, das tu nicht! Ich bin nicht ein Geist. Ich bin eine große Sünderin, und bin ein Mensch von Aschen als du." Da küsset Zosimas ihr Füß und bat sie gütiglich, daß sie ihm von Liebe sage, wer sie wär, oder warum sie die Buße litt. Da sprach sie: "Seit du es wissen willst, so will ich dir das sagen, wie große Schand ich des hab, daß ich dir meine Bosheit sag. Ich bin geboren von Ägyptenland von edelm Geschlecht. Und da ich zwölf Jahr alt war, da war ich eine schöne Jungfrau. Und fuhr in die Stadt Alexandria, und ging in das gemein Leben und ward ein unrein Weib, und versaget mich nie keinem Mann, und in solchem Leben blieb ich siebzehn Jahr.
Und da die Leut von dem Land gen Jerusalem fuhren, das Heilige Kreuz anzubeten, so bat ich die Schiffleut, daß sie mich mit ihnen her ließen fahren. Und da sie um meinen Fahrschatz frageten, so saget ich: 'Lieben Brüder, ich hab keinen andern Fahrschatz, aber gebrauchet meinen Leib zu eurer Lust.' Und also fuhr ich dar. Durch meine Bosheit und nicht durch Gott. Und da wir kamen zu Jerusalem, da gingen meine Gefährten in den Tempel. Da ging ich hin nach und wöllt auch hinein gegangen sein. Da ward mir der Eingang verhalten, und verhänget Gott, daß ich die Tür nicht finden kunnt. Da ging ich wieder vor die Tür. Da kamen ander Leut, die gingen auch in den Tempel, mit denen ging ich aber hinzu. Da mocht ich aber nicht hinein. Das geschah mir vier malen nach einander. Da verstund ich wohl, daß es meiner Sünden Schuld war, und weinet bitterlich.
Da sah ich die Mutter Unsers Herrn vor der Kirchen gemalet. Da bat ich sie mit großem Ernst, daß sie mir Gnad durch ihr Kind erwürbe, daß es mir meine Sünd vergäb, und gelobet auch, ich wölle mein Leben bessern. Da ich das gelobt hätt, da ging ich mit großer Andacht in den Tempel und war froh. Und gelobet auch Gott, ich wölle leben nach seinem Gebot. Da ging ich wieder aus der Kirchen für Unser Frauen Bild, und danket ihr von Herzen der Gnaden, die sie mir erworben hätt um ihr Kind. Da sprach eine Stimm vom Himmel zu mir: 'Komm über den Jordan, so findest du Gemach!' Da ich die Stimm erhöret, ging ich auf den Weg. Da kam ein Mann, der gab mir drei Pfennig, darum kaufet ich drei Brote. Des Morgens kam ich zu der Kirchen und nahm unseres Herrn Leichnam und ging in den Wald mit dritthalbem Brot. Und saß des Nachts zu dem Jordan und aß ein halb Brot. Und also hab ich siebzehen Jahr gelebet, und hab mich ernähret mit der Hülf Gottes. Und die Kleider, die ich mit mir brachte, erfaulten bald an mir, und hab gar viel erlitten. Und der Böse Geist hat mir viel Leid getan. Er hat mir täglich für meine Augen gehalten gute Kost, Essen und Trinken und schöne Kleider und weltliche Wollust. Und mahnet mich an mein altes sündiges Leben. Das mocht mir alles nicht schaden, warum mir half Gott, des wir uns söllen trösten.
Und also überwand Unsers Herrn Hülf und meine Andacht des Bösen Geistes Gewalt. Und da ich nicht mehr Brot hätt, da nähret ich mich mit den Wurzen im Wald. Und hab auch in der langen Zeit nie kein Tier noch Mensch gesehen, und kam auch nie unter ein Obdach." Und sprach zu ihm: "Zosima, mein lieber Vater, ich bitt dich, daß du auf den Ostertag über ein Jahr herwieder kommest. Und söllst die Fasten darheim bleiben, und vergiß nicht, du bringest mir an dem Ablaßtag Unsers Herrn Fronleichnam mit dir her. Und die Welt söllst du nichts von mir sagen. Und sag dem Abt Johannes, es seien etliche Sünder in seinem Kloster. Wird das nicht gebessert, so wird sich Gott schwerlich rächen." Und mit der Red ging die Frau wieder in den Wald. Da fiel Zosimas nieder und küsset die Erde und das Gras oft, wo sie gestanden war. Darnach ging er wieder heim in sein Kloster und saget niemand davon. Und war ihm leid, daß er nicht oft zu ihr mocht kommen.
Nun ward Zosimas siech, daß er darheimen mußte bleiben. Und da der Ablaßtag kam, da wurde er ein wenig kräftiger. Da nahm er Unsers Herrn Fronleichnam und ein Teil Äpfel und ein wenig Erbsen mit sich und ging mit Krankheit in den Wald. Und da er an den Jordan kam, da ging die Frau gegen ihm auf dem Wasser, als ob es auf Erden wäre. Und da sie Zosimas gegen sich sah gehen, da knieet er nieder. Das wehret ihm die Frau, und sprach: "Mein Vater, mir ist leid dein Knien. Stand auf, wann du trägst den wahren Gott." Und da sie Unsers Herrn Leichnam ersah, da sprach sie mit weinenden Augen: "Jesu Christe, du süßer Gott, du hast deiner Dienerin Seel und Leib versehen. Nun seh ich den wahren Gott, das ist mir eine große Sälde hie auf Erden." Und kniet nieder und empfing Gottes Leichnam mit großer Andacht. Und danket Gott seiner Gnaden, und danket auch Zosimas, daß er sie mit dem heiligen Sakrament bewahret hätt, und sprach zu ihm: "Du söllst von heut über ein Jahr wieder ein Mitleiden mit mir haben, und söllst wieder zu mir kommen, so hat mein Leben ein End. Das gelobet er ihr, und bat sie hernach, daß sie ein wenig Labung nähm von ihm, die hätt er ihr gebracht. Und da er sie also fleißiglich bat, da nahm sie drei Erbsen in den Mund und ging wieder auf den Jordan.
Da ging der Mönche wieder heim, und war ihm leid, daß er ihres Namens nicht wußt. Und kam über ein Jahr hinwieder, als sie gebeten hätt. Da fand er die Frau tot. Da erschrak er sehr, und war ihm leid, daß er nicht mehr mit ihr sölle reden, und daß er ihres Namens nicht wusst. Und hätt auch gern mit ihr geredet von dem Abt Johannnes und von den Sünden, die er in dem Kloster bessern sölle. Da sah er einen Brief an ihrer Hand liegen. Daran stund geschrieben also: "Zosima, begrab meinen Leichnam, und leg meinen Namen in den Monat April, der armen Sünderin Maria Aegyptiaka. Und tu der Erden ihr Recht, und tu Asche zu Aschen." Es war ein ander Brief darbei. Den las er nicht, wann er verstund wohl, daß er dem Abt zu käme. Und bracht den Brief dem Abte, daran stund geschrieben, was er unter dem Konvent sölle bessern. Und trachtet da, wie er ein Grab mache. Und forcht, er möchte es nicht allein machen, wenn er hätt kein Zeug darzu. Und da er sich also leids gedacht, da sah er einen wilden Leuen hinter sich stehen, da erschrak der sehr. Doch so tröstet er sich Gottes und sprach zu dem Leuen: "Ich gebeu dir bei der Kraft Gottes, daß du mir ein Grab helfest machen, wann du bist von Gott darzu her gesendet." Da kratzet der Leue eine Grube mit seinen Füßen, darein legt Zosimas die heilige Frau. Da kamen die andächtigen Mönche zu ihrem Grab und machten eine Kapelle darüber, da tat Gott große Zeichen durch die heilige Frau. Nun war Zosimas zu hundert Jahren kommen, die hätt er in Gottes Lob verzehret mit großer Arbeit. Darnach starb er, und fuhr seine Seel zu den Ewigen Freuden.
Nun helf uns Sankt Maria Aegyptiaka und der heilige Vater Zosimas um Gott erwerben die Ewige Freud und Säligkeit. Amen.
(Der Heiligen Leben und Leiden anders genannt des Passional. Zweiter Band: Sommerteil. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Leipzig: Insel-Verlag, 1913, S. 9 - 13)
Literatur und Kunst
Die Legende beziehungsweise die Heilige Maria Aegyptica ist in Literatur und Kunst immer wieder dargestellt worden. Die Barockdichter Jakob Balde und Jakob Bidermann haben Verse auf Maria Aegyptiaca verfasst. In der Neuzeit hat ihr Rainer Maria Rilke ein Gedicht gewidmet:
Die ägyptische Maria
Seit sie damals, bettheiß, als die Hure
übern Jordan floh und, wie ein Grab
gebend, stark und unvermischt das pure
Herz der Ewigkeit zu trinken gab,
wuchs ihr frühes Hingegebensein
unaufhaltsam an zu solcher Größe
daß sie endlich, wie die ewige Blöße
Aller, aus vergilbtem Elfenbein
dalag in der dürren Haare Schelfe.
Und ein Löwe kreiste; und ein alter
rief ihn winkend an, daß er ihm helfe:
(und so gruben sie zu zwein)
Und der Alte neigte sie hinein.
Und der Löwe, wie ein Wappenhalter,
saß dabei und hielt den Stein.
Im zweiten Teil der Faustdichtung Goethes tritt die ägyptische Maria auf:
Bei dem hochgeweihten Orte,
Wo den Herrn man niederließ,
Bei dem Arm, der von der Pforte
Warnend mich zurückestieß,
Bei der vierzigjährigen Buße,
Der ich treu in Wüsten blieb,
Bei dem seligen Scheidegruße,
Den im Sand ich niederschrieb –
Und anschließend im Chor der Büßerinnen:
Die du großen Sünderinnen
Deine Nähe nicht verweigerst
Und ein büßendes Gewinnen
In die Ewigkeiten steigerst,
Gönn auch dieser guten Seele,
Die sich einmal nur vergessen,
Die nicht ahnte, daß sie fehle,
Dein Verzeihen angemessen!
Die wohl unwahrscheinlichste Fundstelle in der neueren Literatur ist jedoch sicherlich ein Gedicht des jungen Bertolt Brecht aus dem Jahr 1917, das der Dichter zwar unter dem verrätselten Titel "Die Legende von der Dirne Evelyn Roe" (Werkausgabe Edition Suhrkamp 1967, Gedichte 1, S. 18) erscheinen ließ, in dem jedoch unschwer das Vorbild der Büßerin aus Ägypten zu erkennen ist. In der Interpretation von Gisela Mai zu hören auf Youtube (https://www.youtube.com/watch?v=ZF_9VgLeRvA).
In mittelalterlichen Stundenbüchern sind in Miniaturen immer wieder Episoden aus dem Leben der Heiligen dargestellt worden, und auch in der Bildenden Kunst war sie ein beliebtes Motiv [Quinten Matsys (1456/1466 - 1530), Philadelphia Museum of Art; Lorenzo di Credi (1459 - 1537), Gemäldegalerie, Berlin; Jacopo Tintoretto (1519 - 1594), Scuola Grande di San Rocco, Venedig; Théodore Chassériau (1819 - 1856), Église St Merri, Paris; Emil Nolde (1867 - 1956), Hamburger Kunsthalle].
Die Legende der ägyptischen Maria lebt und wirkt weiter bis in unsere Zeit. Emil Nolde (1867 - 1956) hat nach der Legende das Triptychon "Maria Aegytiaca" (Im Hafen von Alexandrien, Die Bekehrung, Der Tod in der Wüste, 1912) geschaffen (Hamburger Kunsthalle). Und der Schriftsteller Martin Walser lässt in seinem Roman "Halbzeit" den Ich-Erzähler von der Lektüre seiner Mutter in der Legenda aurea des Jacobus de Voragine wie auch von seiner eigenen berichten:
"Die erste Frau, von der ich geträumt hatte, war natürlich auch eine Heilige gewesen. Sanct Maria Aegyptiaca, die mit zwölf Jahren in die von böser Weisheit und schönem Laster glühende Stadt Alexandria kam, in eine Stadt, in der alle Füße nackt und alle Köpfe verhüllt waren. Siebzehn Jahre lang hatte sich die Ägypterin ein schlimmes Leben erlaubt, bis sie dann mit einem Pilgerschiff ins Heilige Land fuhr. Das Fährgeld allerdings bezahlte sie noch mit ihrem Leib, denn sie hatte offensichtlich nichts erspart. Dann aber lebte sie siebenundvierzig Jahre von drei Broten in der Wüste jenseits des Jordans, und es hat mir einen tiefen Eindruck gemacht und mich auch mit schlimmen Vorahnungen erfüllt, daß sie dem Abt Zosima erzählte, siebzehn Jahre sei sie in der Wüste noch von fleischlicher Anfechtung gepeinigt worden. Siebzehn Jahre."
Martin Walser, Halbzeit (1973), Erster Teil, 1. Kapitel, Abschnitt 21
Und ebenfalls in neuerer Zeit schließlich wurde der Stoff der Legende der Maria Aegyptiaca von Ottorino Respighi (1879 - 1936) 1931 als Mistero "Maria egiziaca. Trittico per concerto in tre atti" nach dem Libretto von Claudio Guastalla (1880 - 1948) vertont.
metrum
Die Sequenz zeichnet sich aus durch einen symmetrischen Aufbau, dergestalt, dass sich immer zwei Strophen paarweise entsprechen; die unpaarige Eingangs- und Schlussstrophe umrahmen die paarigen. Die Strophen sind unterschiedlichen Umfangs, mit zwei, drei, vier, fünf und sechs Versen.
Weiteres zur Sequenz siehe in der Rubrik Miscellanea, Zur Sequenzendichtung.