Ecce dies celebris

Adam von Sankt Viktor (* um 1100 - 1192)

Lateinisch:

Ecce dies celebris,
Lux succedit tenebris,
Morti resurrectio.

Lætis cedant tristia,
Cum sit maior gloria
Quam prima confusio;
Umbram fugat veritas,
Vetustatem novitas,
Luctum consolatio.

Pascha novum colite:
Quod præit in capite,
Membra sperent singula;
Pascha novum Christus est,
Qui pro nobis passus est,
Agnus sine macula.

Hosti, qui nos circuit,
Prædam Christus eruit,
Quod Samson præinnuit,
Dum leonem lacerat;
David fortis viribus
A leonis unguibus
Et ab ursi faucibus
Gregem patris liberat.

Quod in morte plures stravit,
Samson Christum figuravit,
Cuius mors victoria;
Samson dictus sol eorum,
Christus lux est electorum,
Quos illustrat gratia.

Iam de crucis sacro vecte
Botrus fluit in dilectæ
Penetral ecclesiæ;
Iam calcato torculari
Musto gaudent debriari
Gentium primitiæ.

Saccus scissus et pertusus
In regales transit usus;
Saccus fit soccus gloriæ,
Caro victrix miseriæ.

Quia regem peremerunt,
Rei regnum perdiderunt;
Sed non deletur penitus
Cain in signum positus.

Reprobatus et abiectus
Lapis iste nunc electus
In tropæum stat erectus
Et in caput anguli;
Culpam delens, non naturam,
Novam creat creaturam
Tenens in se ligaturam
Utriusque populi.

Capiti sit gloria
Membrisque concordia.

deutsch:

Seht des Tags beglücktes Licht:
Dunkel weicht der klaren Sicht
Und der Tod dem Auferstehn.

Freude, scheuch das alte Leid:
Heller strahlt die Herrlichkeit,
Als Verwüstung einst geschehn;
Klarheit löst des Schattens Nacht,
Neuheit bricht verjährte Macht,
Tröstung läßt den Schmerz vergehn.

Seht der Ostern neues Heil:
Was dem Haupte ward zuteil,
Sei der Glieder Hoffnungsschein;
Unsre Ostern ruhn in Christ,
Der für uns gestorben ist,
Er, das Lamm, von Makel rein.

Seht, dem Feind, der uns umkreist,
Christ, der Retter, uns entreißt,
Wie's schon Samson deutend weist,
Der den Löwen einst bezwang;
David auch mit tapferm Mut
Wahrte Vaters Herde gut,
Vor des Bären wilder Wut,
Vor des Löwen jähem Fang.

Vielen Feinden schuf Verderben
Samsons Tod: so wird im Sterben
Christ der größte Sieg beschwert;
Samson hieß der Seinen Sonne,
Christus ist der Gläubgen Wonne,
Die sein Gnadenlicht verklärt.

Seht, von Kreuzes heilger Kelter
Strömt der Wein in die Behälter,
Die die Kirche liebend weiht,
Und der Völker Erstlingsscharen,
Die den Most gepreßt gewahren,
Nahn sich, selgen Trunks bereit.

Seht, gelöst aus Schmutz und Schanden,
Kehrt der Sack zu Königs Handen;
Der Sack wir Sockel höchster Pracht,
Das Fleisch ersteht aus Elends Nacht.

Die des Königs Leib durchbohren,
Haben Königs Reich verloren;
Doch vor dem Tod ist Kain gehegt,
Da seine Stirn das Zeichen trägt.

Einst verworfen und verloren,
Ward der Baustein neu erkoren,
Ragt, zu stolzem Ruhm beschworen,
Mit des Ecksteins wuchtger Kraft;
Er ists, der die Mauern gründet,
Der die beiden Völker bindet,
Menschenart der Schuld entwindet
Und die Schöpfung neu erschafft.

Laßt dem Haupte Ruhm gedeihn,
Laßt die Glieder einig sein!

Deutsch von Franz Wellner

fontes

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 112 - 117 Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955

Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Die Lebensdaten des Übersetzers waren nicht zu eruieren. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, dass unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.

scholia / marginalia

Sequentia in resurrectione Domini
Sequenz zur Auferstehung des Herrn (Osterfest)

„Sequenz auf das Osterfest. – Adam von St. Viktor hat sechs Oster-Sequenzen gedichtet; der Bedarf ergab sich dadurch, daß in St. Viktor an allen Tagen der Woche vom Ostersonntag bis einschließlich 'Weißem Sonntag' Sequenzen gesungen wurden, und es ist bewundernswert, wie unser Dichter den gleichen Gegenstand immer wieder von einer neuen Seite zu betrachten, immer wieder mit neuem Stimmungsgehalt zu erfüllen wußte.

Die vorliegende Oster-Sequenz ist hauptsächlich symbolischen Inhalts. Christus ist das neue Osterlamm [I. Kor. 5, 7], das Lamm ohne Makel [II. Mos. 12, 5]; die Auferstehung Christi als des Hauptes [I. Kor. 11, 3] gibt auch uns, den Gliedern [I. Kor. 6, 15)], die Hoffnung küftiger Auferstehung. – Christus entreißt uns dem bösen Feind, wie Samson einst den Löwen bezwang [Richt. 14, 6] und David die Herde seines Vaters gegen Löwen und Bären verteidigte [I. Kön. 17, 34–35]. – Samson, der die Sonne der Seinen hieß, begrub sterbend mehr Feinde unter dem stürzenden Gemäuer, als er bei Lebzeiten getötet hatte [Richt. 16, 30]; so ist auch Christi Tod sein größter Sieg. – Das Kreuz ist die Kelter, aus der der Wein in das Allerheiligste der Kirche strömt und die Völker zum Genuß einlädt. – Aus dem schmutzigen Sack, dem Zeichen der Trauer, wird königliche Pracht [Ps. 29, 12]. – Die Juden, die den König getötet haben, sind seines Reiches verlustig; vor dem Tod aber sind sie bewahrt, wie es Kain durch das Zeichen auf seiner Stirn war [I. Mos. 4, 15]. – Der von den Bauleuten verworfene Stein, Christsus, wird zum Eckstein [Ps. 117, 22; Matth. 21, 42; Apost. Gesch. 4, 11], der die Völker der Juden und Heiden zu einem einzigen Gebäude verbindet."

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 112f.

metrum

Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius; der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers wiederholt. So entsteht eine dreizeilige (Teil)Strophe, der drei gleich gebaute Verse als Gegenstrophe beigefügt werden; damit ist die Strophe nun sechszeilig. – Reimschema: aabccb. Wird die erste Hälfte des Septenarius vervielfacht, ergeben sich achtzeilige oder zehnzeilige Strophen, und das Reimschema ist dann entsprechend aaabcccb oder aaaabccccb.

Die erste Strophe dieser Sequenz besteht aus drei Versen.

„Läßt man die Verdoppelung der ersten Hälfte des Septenarius entfallen, so erhält man eine Strophe vom einfachen Gepräge abab (a weiblich, b männlich) ...“ Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 364.

Zwischen die sechszeiligen Strophen sind zwei vierzeilige eingefügt (Reimschema aabb ccdd).

Die Sequenz schließt mit einer zweizeiligen Strophe (Paarreim aa)..

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