Ecce, dies praeoptata,

Adam von Sankt Viktor ( 1192)

Lateinisch:

Ecce, dies præoptata,
Dies felix, dies grata.
Dies digna gaudio.
Nos hanc diem veneremur
Et pugnantem admiremur
Christum in Vincentio.

Ortu, fide, santitate,
Sensu, verbo, dignitate
Clarus et officio
Arcem diaconii
Sub patris Valerii
Regebat arbitrio.

Linguæ præsul impeditae
Deo vacat et levitate
Verbi dat officia,
Cuius linguam sermo rectus
Duplex quoque simplex pectus
Exornat scientia.

Dumque fidem docet sanam
Plebem Cæsaraugustanam
Comitante gratia,
Sævit in ecclesiam
Zelans idolatriam
Præsidis invidia.

Post auditam fidei
Constantiam
Iubet ambos protrahi
Valentiam
Sub catenis;
Nec iuveni parcitur
Egregio,
Nec ætas attenditur
Ab impio
Sancti senis.

Fessos ex itinere,
Pressos ferri pondere
Tætro claudit carcere
Negans victualia;
Sic pro posse nocuit
Nec pro voto potuit,
Quia suos aluit
Christi providentia.

Seniorem relegat exsilio,
Iuniorem reservat supplicio
Præses acerbiori.
Eculeum perpessus et ungulam
Vicentius conscendit craticulam
Spiritu fortiori.

Dum torretur, non terretur,
Christum magis profitetur
Nec tyrannum reveretur
In eius præsentia.
Ardet vultus inhumanus,
Hæret lingua, tremit manus
Nec se capit Datianus
Præ cordis insania.

Inde specu martyr retruditur
Ex testulis fixus illiditur;
Multa tamen hic luce fruitur
Ab angelis visitatus.
In lectulo tandem repositus
Ad superos transit emeritus,
Sicque suo triumphans spiritus
Est principi præsentatus.

Non communi sinit iure
Virum tradi spulturæ,
Legi simul et naturæ
Vim facit malitia;
In defunctum iudex sævit,
Hinc defuncto laus accrevit;
Nam, quo vesci consuevit,
Reformidat bestia

En, cadaver inhumatum
Corvus servat illibatum,
Sicque sua sceleratum
Frustratur intentio.
At profanus Datianus,
Quod consumi nequit humi,
Vult abscondi sub profundi
Gurgitis silentio.

Non tenetur a molari
Nec celari potest mari,
Quem nunc laude singulari
Venerari voto pari
Satagit ecclesia.
Ustulatum corpus igne
Terra, mari fit insigne.
Nobis, Iesu, da benigne,
Ut cum sanctis te condigne
Laudemus in patria.

 

Deutsch:

Seht den Tag, den treu ersehnten,
Glückbegabten, lustgekrönten,
Würdig aller Seligkeit.
Laßt den Tag uns fromm begehen,
Da wir Christ als Sieger sehen
In Vincentius' tapferm Streit.

Hoch an Stamm und heilgem Wesen,
Hoch durch Sinn und Wort erlesen,
Hoch auch in der Pflichten Stand,
Nahm er als erhabne Bürde
Erz-Diakons fromme Würde
Aus Valerius' Vaterhand.

Bischofs Sprache fehlt die Stärke;
Still versieht er Gottes Werke,
Weist dem Jüngern Redens Pflicht,
Der, des graden Worts beflissen,
Reich an zwiefach hohem Wissen,
Einfach aus dem Herzen spricht.

Saragossa hört ihn lehren
Und des Glaubens Heil bewähren,
Da ihm Gnade Kraft verleiht;
Doch der Landvogt, neidentbrannt,
Eiteln Götzen zugewandt,
Droht der Kirche blutgen Streit.

Beide, da ihr Glaubenswort
Sich treu bewährt,
Schleppt man nach Valencia fort,
Von Pein beschwert,
Hart in Ketten;
Nicht Jünglings erlesner Preis
Bezähmt die Wut,
Nicht, leuchtend im hehren Greis,
Die heilge Glut
Kann sie retten.

Da vom Weg sie noch erschlafft,
Wehrlos gegen Eisens Kraft,
Schließt der Vogt sie tief in Haft
Und in Hungers bittre Not.
Doch je mehr er sie bedrückt,
Wird er seinem Ziel entrückt;
Denn des Heilands Liebe schickt
Seinen Treuen süßes Brot.

Ächtend führt man aus dem Land den frommen Greis,
Sorglich schnürt man Jünglings Hand auf Vogts Geheiß,
Daß man ihn härter quäle;
Die Zange reißt, die Folter erpreßt sein Blut,
Vincentius naht sich willig des Rostes Glut,
Tapfer in tiefster Seele.

Flammen können ihn nicht brennen,
Christus will er treu bekennen,
Nicht dem Vogt die Ehre gönnen.
Dessen Art sich nah ihm weist:
Denn des Wüters Augen lohen,
Zunge stammelt, Hände drohen,
Aller Fassung ist entflohen
Datianus' irrer Geist.

Der Dulder, neu von Kerkers Nacht bedeckt,
Auf Scherben liegt er wehrlos hingestreckt;
Doch hellstes Leuchten ists, das ihn erweckt:
Die Engel wollen ihn grüßen.
Zuletzt, zu Bett getragen sonder Pein,
Geht als Verklärter er zum Himmel ein;
Sein tapfrer Geist, in Siegers lichtem Schein,
Erwacht zu des Heilands Füßen.

Bosheit, allem Recht entgegen,
Läßt ihn nicht zu Grabe legen,
Nein, ihr Wüten bleibt verwegen
Vor Natur und Satzung taub.
Noch den Toten haßt der Richter,
Doch sein Ruhm wird um so lichter;
Denn der Bestien bluterpichter
Rachen bangt vor solchem Raub.

Sieh, den Leichnam, unbegraben,
Schützt die treue Wacht des Raben:
Datianus' Wutgehaben
Ist ihm selbst zur Schmach gediehn.
Doch der Wilde kennt nicht Milde;
Was der Erde rauher Fährde
Sich entzogen, tief in Wogen
Will der Kunde ers entziehn.

Nicht der Mühlstein reicht zur Wehre,
Daß vom Meere wiederkehre
Jener Leib, zu dessen Ehre
All der hehre Preis der Chöre
Unsrer Kirche würdig scheint.
Jener Leib, der qualverglühte,
Zähmt des Lands und Meers Gewüte:
Uns, o Herr, gewähr in Güte,
Daß uns einst die Heimat hüte,
Heilgen Chören fromm vereint.

Deutsch von Franz Wellner (1889 – 1956)

fontes

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 94 – 101
Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955

Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, dass unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.

scholia / marginalia

Sequentia de s. Vincentio
Sequenz auf den hl. Vincentius

"Sequenz auf den hl. Vincentius [22. Jänner]. – Vincentius stammte aus Osca [Huesca] in Aragonien, war von edlem Geschlecht und [um 300] des seligen Valerius, Bischofs von Saragossa, Diakon. Valerius war der Rede minder mächtig; darum widmete er sich vorwiegend dem Gebet und übertrug Vincentius das Amt des Predigens. Der Landpfleger Datianus, ein Feind der Christen, ließ beide in Ketten nach Valencia schleppen und ohne Nahrung in den Kerker werfen.

Da nun Vincentius, der für sie beide das Wort führte, sich standhaft weigerte, Gott zu verleugnen, schickte Datianus den Bischof in die Verbannung, Vincentius aber ließ er auf die Folter spannen und sein Fleisch mit Zangen zerreißen. Da auch dies nicht fruchtete, geriet Datianus völlig von Sinnen: er ließ Vincentius auf einem Rost ins Feuer setzen, dann wieder in den finstersten Kerker schließen und gebunden auf scharfe Scherben legeb; aber die Finsternis wurde zu Licht, die Scherben zu mancherlei Blumen, und Engel kamen, Vincentius zu trösten. Nun erkannte Datianus, daß alle Marter nur den Ruhm des Dulders vermehre; er ließ ihn daher in ein Bett auf Kissen legen, und daselbst entschlief Vincentius alsbald; dies geschah unter den Kaisern Diocletianus und Maximianus, etwa im Jahre 304.

Kaum war der Märtyrer gestorben, so erwachte Datianus' Grimm aufs neue, und er ließ den Leichnam unbeerdigt aufs Feld werfen; aber die wilden Tiere enthielten sich des Fraßes, ja ein Rabe hielt bei dem toten Wache und verjagte alle anderen Vögel, die sich nähren wollten. Nun ließ Datianus einen Mühlstein an den Leichnam binden und ihn ins Meer werfen, daß ihn die Meeresungeheuer fräßen; doch ehe noch die Schiffsleute, die ihn versenkt hatten, zurückkehrten, war der heilige Leib schon wieder am Strande, wo eine edle Witwe und etliche andere Christen ihn mit großen Ehren bestatteten." Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 94f.

metrum

Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius;

—◡—◡—◡—◡/—◡—◡—◡—

der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers wiederholt.

—◡—◡—◡—◡
—◡—◡—◡—◡
—◡—◡—◡—

So entsteht eine dreizeilige (Teil)Strophe, der drei gleich gebaute Verse als Gegenstrophe beigefügt werden; damit ist die Strophe nun sechszeilig. – Reimschema: aabccb. Wird die erste Hälfte des Septenarius vervielfacht, ergeben sich achtzeilige oder zehnzeilige Strophen, und das Reimschema ist dann entsprechend aaabcccb oder aaaabccccb.

Die fünfte Strophe (Post auditam fidei ...) ist eine Strophe besonderer Bauart, die sich bei Adam von Sankt-Viktor nur in dieser Sequenz findet.
Reimschema: ababcdedec

Ferner zeigt die siebte Strophe (Seniorem relegat ...) Abweichungen in der Silbenzahl vom üblichen Vers- oder Strophenschema.

Franz Wellner, der Übersetzer und Herausgeber der Sequenzen von Adam von Sankt-Viktor, behandelt in seiner Ausgabe Versbau, Versformen, Reim, Strophenbau, Strophenformen und Sequenzenaufbau des Dichters eingehend; hier sind zahlreiche weiterführende und aufschlussreiche Hinweise zu finden.

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