Praecursorem summi regis

Adam von Sankt Viktor (* um 1100 - 1192)

Lateinisch:

Præcursorem summi regis
Et præconem novæ legis
Celebret, ecclesia;
In hac luce tam festiva
Gaude, mater, et votiva
Deprome præconia.

Huius ortum veneremur,
Sed nec minus delectemur
In eius martyrio.
Totus mundus sit iucundus,
Nulli martyr hic secundus
Virtute vel præmio.

Non est nostræ parvitatis
Virum tantæ dignitatis
Laudare per omnia;
Summa rei recitetur,
Ut affectus excitetur
Ex eius memoria.

Non arundo levitatis,
Sed columna veritatis,
Nulla palpans crimina
Scribas tangit et doctores
Vocans legis transgressores
Vipera genimina.

Argueabt hic Herodem
Nec terretur ab eodem
Ligatus in carcere.
Fert iniuste iustus pœnam
Rem detestans tam obscenam
Regis adulteræ.

Sævit in hunc vis tyranni;
Laus adcrescit hinc Iohanni,
Tyranno supplicium;
Stultus servit sapienti,
Quia iustus in præsenti
Purgatur per impium.

In natalis sui cena
Capitali plecti pœna
Iohannem rex imperat.
Spiculator saltatrici
Dat, salatrix genitrici
Caput, quod petierat.

Crux præsignat sublimari
Christum, sed hunc minorari
Capitis abscissio.
Mors est isti pretiosa,
Quam præcessit gloriosa
Vitæ conversatio.

Nos ad laudem tuam, Christe,
Præcursoris et baptistæ
Colimus sollemnia;
Tu nos ab hac mortis valle
Duc ad vitam recto calle
Per eius vestigia.

Deutsch:

Ihm, des Königs Wegbereiter,
Neuen Bundes Lichtverbreiter,
Kirche heb den Kranz empor;
Mutter, freu dich solcher Freier,
Stimm in Andacht deine Leier,
Sing dein Lob in vollem Chor.

War uns die Geburt schon festlich,
Sei uns heut nicht minder köstlich
Seine bittre Passion;
Froher kläre sich die Sphäre
Zu so hohen Duldders Ehre,
Hoch an Tugend, hoch an Lohn.

Unsre Kleinheit kann nicht reichen,
Seines Adels treue Zeichen
Alle feiernd zu ersehn;
Nur das Höchste sei besungen,
Daß wir in Erinnerungen
Unsrer Herzen Glut erhöhn.

Nimmer wie ein Rohr im Winde
Schmiegt er schmeichelnd sich der Sünde,
Nein, als Säule steht er fest,
Schilt die Schreiber und Gelehrten,
Die den Sinn der Schrift verkehrten
Hebt das giftge Natternnest.

Züchtigt auch Herodes' Schande
Und des Kerkers schwere Bande
Schrecken nicht den tapfern Sinn;
Als Gerechter muß er leiden,
Denn er flucht den niedern Freuden
Königs und der Buhlerin.

Wie auch Königs Macht ertobe,
Sieh, Johannes reift zum Lobe,
Doch zu Qualen der Despot;
Blindlings dient der Tor dem Weisen,
Reinheit schwebt zu höhern Kreisen,
Da Verderbtheit sie bedroht.

Schließlich beim Geburtstagsmahle
Fällt Johannes' Haupt vom Stahle,
Wie's der König blind gewährt;
Die im Tanz gewiegt die Lenden,
Nimmt das Haupt aus Henkers Händen,
Gibt’s der Mutter, die's begehrt.

Christi Kreuz weist auf sein Steigen,
Doch Enthauptung auf das Neigen,
Das Johannes sich erkor;
Tod wird ihm zum Freudenglanze,
Da in Lebens Ruhmeskranze
Er gewandelt schon zuvor.

Christus, deinen Ruhm zu mehren,
Sieh uns deines Täufers Ehren,
Deines Herolds Preis geweiht;
Führ auf seinen lichten Spuren
Uns aus Todes düstern Fluren
Auf zu Lebens Seligkeit.

Deutsch von Franz Wellner (1889 – 1956)

fontes

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 272 – 277
Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955

Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, dass unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.

scholia / marginalia

Sequentia in decollatione s. Iohannis Bapt.
Sequenz auf Johannes des Täufers Enthauptung

"Sequenz auf Johannes des Täufers Enthauptung [29. August] – Mit der sittlichen Kraft und dem unerschrockenen Mut eines alten Propheten stand Johannes taufend und predigend am Jordan; nicht wie ein Rohr im Winde [Matth. 11, 7; Luc. 7, 24] beugte er sich vor der Macht der Großen dieser Erde, sondern unerbittlich schalt er die Pharisäer und Schriftgelehrten [Matth. 3, 7; Luc. 3, 7] und verwies dem Herodes seine sträfliche Ehe mit Herodias, der Frau seines Bruders [Matth. 14, 3–4; Marc. 6, 17–18]. Daraufhin ließ ihn Herodes gefangensetzen, wagte aber wegen seines Großen Anhanges nicht ihn zu töten; erst bei seinem Geburtstagsfeste, als Salome, die Tochter der Herodias, zum Lohn für ihren Tanz das Haupt des Johannes begehrte, mußte er ihr, durch einen Schwur gebunden, willfahren [Matth. 14, 5–11; Marc. 6, 19–28.].

Des Johannes eigenes Wort: 'Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen [Joh. 3, 30], bewahrheitet sich im Tode, da Christus am Kreuz erhöht, Johannes aber um das Haupt gekürzt wird."

 

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 272f.

metrum

Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius;

—◡—◡—◡—◡/—◡—◡—◡—

der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers wiederholt.

—◡—◡—◡—◡
—◡—◡—◡—◡
—◡—◡—◡—

So entsteht eine dreizeilige (Teil)Strophe, der drei gleich gebaute Verse als Gegenstrophe beigefügt werden; damit ist die Strophe nun sechszeilig. – Reimschema: aabccb. Wird die erste Hälfte des Septenarius vervielfacht, ergeben sich achtzeilige oder zehnzeilige Strophen, und das Reimschema ist dann entsprechend aaabcccb oder aaaabccccb.

Franz Wellner, der Übersetzer und Herausgeber der Sequenzen von Adam von Sankt-Viktor, behandelt in seiner Ausgabe Versbau, Versformen, Reim, Strophenbau, Strophenformen und Sequenzenaufbau des Dichters eingehend; hier sind zahlreiche weiterführende und aufschlussreiche Hinweise zu finden.

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