Thomas Morus (* 7. Februar 1477, † 6. Juli 1535) 

Von René Strasser

Der heilige Thomas Morus hat zwar ein umfangreiches literarisches Werk hinterlassen - Hymnen sind jedoch keine darunter. Der lateinische Hymnus, den Hansjürgen Bertram zum Todestag des Märtyrers gedichtet hat und der hier im Hymnarium zum 480. Todestag und im achtzigsten Jahr seiner Heiligsprechung (19. Mai 1935) erstmals veröffentlicht wird, war für René Strasser der Anlass, sich näher mit dem hl. Thomas zu beschäftigen. Er begegnete einem Homo Politicus, einem Schriftsteller und Staatsmann, der uns in einer Zeit, die die Diktatur des Relativismus zum Gipfelpunkt der Freiheit umdeutet, viel zu sagen hat.

Der Festtag des Heiligen ist der 22. Juni, an dem seiner zusammen mit Bischof John Fisher, gedacht wird der an diesem Tag hingerichtet wurde. Für die Anglikaner ist der 6. Juli, an dem Thomas selbst das Schafott bestieg, der Tag seines Gedenkens. 

Ein Heiliger für die heutige Zeit

Kaum ein Heiliger ist wie Thomas Morus (7. Februar 1477 - 6. Juli 1535) seit Thomas von Aquin und dem Ausgang des Mittelalters durch Jahrhunderte hindurch bis in unsere Tage im allgemeinen Bewusstsein so gegenwärtig geblieben.

In zahlreichen Biographien, Untersuchungen zu seinem Werk und Übersetzungen in viele Sprachen ist immer wieder auf ihn hingewiesen worden. Elisabethanische Dramatiker, zu denen vermutlich auch William Shakespeare gehörte, haben ein historisches Schauspiel "Sir Thomas More" verfasst. Auch auf den Bühnen der Jesuitentheater ist sein Leben dargestellt worden und bis in unsere Tage tritt er in Dramen auf Robert Bolt, A Man for all Seasons (1954); Jean Anouilh, Thomas More ou l'Homme libre (1987). Zudem ist sein Leben mehrmals verfilmt worden (1966, 1988).

Über Johann Wolfgang Goethes Arbeitstisch in Weimar hing ein Stich mit dem Bildnis von Thomas Morus. Christoph Martin Wieland verfasste eine Miszelle (1777) über ihn.

"Wer weiß nicht, daß Sir Thomas More einer der vortrefflichsten, geschicktesten, rechtschaffensten Männer seiner und jeder andern Zeit gewesen; - daß er, ohne andere Schwingfedern als seine persönlichen Verdienste, von der niedern Stufe eines Privatadvocaten nach und nach (und sehr wider seine Neigung, die mit dem Hofleben fast unverträglich war) bis zur Würde eines Großkanzlers von England unter dem König Heinrich VIII. gestiegen; daß er auf diesem Platze, wo ein Jahrhundert später ein andrer großer Mann (wiewohl von ganz andern Seiten groß), der Lord Bacon von Verulam, seinem Charakter unauslöschliche Flecken zugezogen, die veralteten und kaum noch glaublichen Tugenden der Aristiden und Phocione wieder lebendig dargestellt; daß er in einer so großen Würde, an einem sehr verderbten Hofe, unter einem ausschweifenden, launigen, eigenmächtigen und tyrannischen Fürsten, die größte Einfalt der Sitten, und die höchste Lauterkeit, Wahrheit, Stärke und Freiheit der Seele immer beibehalten; daß er endlich sein Amt, aus geheimen Ursachen, die, was sich auch dagegen einwenden läßt, ihren Grund in seiner Gewissenhaftigkeit, Frömmigkeit und reinen Vaterlandsliebe hatten, in einer Zeit, wo es beinahe unmöglich war, einer höchst fatalen Collision von Pflichten auf eine andre Weise auszuweichen, freiwillig niederlegt, und daß er drei Jahre drauf (im Jahre 1535) seine unbiegsame Treue gegen innere Überzeugung von Wahrheit und Recht mit seinem Blute versiegelt hat?"

(C.M. Wielands sämmtliche Werke. Fünfunddreißigster Band. Vermischte Schriften. Miscellaneen. Leipzig: Verlag von Georg Joachim Göschen, 1840, S. 374f.)

Beruf und Berufung

Der Vater Sir John More (1451 - 1530), Iurist und Richter in London, gab seinen Sohn schon früh in die St Anthony School, wo er Latein lernte, das er später wie seine Muttersprache beherrschte. Als Zwölfjähriger kam er als Page in den Haushalt des Lordkanzlers und Erzbischofs John Morten, der später Kardinal wurde. Zwei Jahre später ging er an die Universität Oxford, wo ihm der Erzbischof im Canterbury College einen Platz besorgt hatte. Nach weiteren zwei Jahren kehrte er nach London zurück und besuchte die Rechtsschule New Inn und ab 1496 die Rechtsschule Lincoln's Inn. Nachdem er Anwalt geworden und 1501 als Advokat zugelassen worden war, wurde er 1504 Parlamentsmitglied.

In den Jahren danach, bis zu seiner Heirat im Jahre 1505, widmete er sich pilosophischen, philologischen Studien, dem Studium der alten Sprache, übersetzte aus dem Griechischen, arbeitete als Anwalt, hielt Vorlesungen über "De civitate Dei" des Augustinus und pflegte ein intensives spirituelles Leben. Von Ende 1499 bis Ende 1503 lebte er in Charterhouse, dem Londoner Kartäuserkloster, wo er prüfte, ob er sich dem geistlichen Stand widmen sollte; die dort eingeübte aksketische Lebensweise hat er bis zu seinem Lebensende beibehalten. Schliesslich entschied er sich aber für ein Leben als Laie.

"Derweilen richtete er auch seinen ganzen Sinn auf das Studium der Frömmigkeit, durch Wachen, Beten und ähnliche Vorübungen an das Priestertum denkend; und dabei war er um vieles weiser als die meisten dieser Leute, die sich auf Geratwohl in einen so schwierigen Beruf stürzen, ohne sich vorher auf die Probe gestellt zu haben. Und nichts hinderte ihn, sich dieser Art des Lebens zu weihen, außer daß er die Sehnsucht nach einer Frau nicht abschütteln konnte. Er wollte lieber ein reiner Ehemann als ein unkeuscher Priester sein."

(Brief des Erasmus an Ulrich von Hutten vom 23. Juli 1519)

In diesen Lebensjahren lernte er das Werk von Giovanni Pico della Mirandola, der in engem Austausch mit Marsilio Ficino und Angelo Poliziano stand und im Medici-Kreis um Lorenzo il Magnifico verkehrte. Bei ihm glaubte er zu sehen, wie sich die klassische Philosophie der Antike mit christlichem Denken verbinden, wie sich weltliche Gelehrsamkeit, humanistisches Weltbild und christliche Lebensführung vereinbaren ließen. Giovanni Pico della Mirandola wurde für Thomas Morus eine Art Vorbild und Lebensentwurf für ein weltliches Leben, für seine Lebensform und seinen Lebensstil.

Ab jetzt versah Thomas Morus immer wieder öffentliche Ämter, wirkte als Diplomat und Parlamentarier; 1510 wurde er Under-Sheriff der Stadt London, 1517 trat er in den Dienst des Königs und wurde Mitglied des königlichen Rates, 1521 wurde er zum Sub-Treasurer (Unterschatzkanzler) und gleichzeitig geadelt, 1523 war er Sprecher des Unterhauses, 1529 wurde er zum Lordkanzler ernannt.

Es sind jedoch weniger diese äusseren Ereignisse in der glänzenden Laufbahn des Staatsmannes und die ihn in seiner Zeit als eine politisch bedeutsame Persönlichkeit erscheinen ließen, die uns heute beeindrucken, sondern es ist der Mensch, er und seine inneren Werte, die ihn für uns heute so anziehend machen.

Ihn lernen wir kennen im Porträt von Hans Holbein dem Jüngeren, im Brief des Erasmus an seinen Freund Ulrich von Hutten, worin er Thomas Morus porträtiert, und in seinen eigenen Werken (Epigrammata, Utopia), in seinen Briefen, ganz besonders in jenen an Erasmus, an andere Humanisten wie Petrus Aegidius (Pieter Gilles), Hiernoymus Buslidius (Jerome de Busleyden), Johannes Frobenius (Johannes Froben), Guglielmus Budaeus (Guillaume Budé) und in jenen aus dem Gefängnis und in seinen religiösen Schriften (Treatise of the Passion, Dialogue of Comfort against Tribulation).

Das Bild von Thomas Morus von Hans Holbein zeigt ihn als Lordkanzler im pelzverbrämten Gewand und mitgoldener Kette. Diesen Ornat trug er jedoch nur bei Hof. Eine verhaltene Versonnenheit, wenn nicht gar Traurigkeit liegt auf seinem Gesicht, seine Augen scheinen in die Ferne zu blicken. Das Antlitz zeigt Entschlossenheit und charakterliche Festigkeit. Was das Bild allerdings nicht zu zeigen vermag, ist, dass der Kanzler unter diesem prächtigen Gewand auf dem Leib ein härenes Hemd trug.

Erasmus über Thomas Morus

Ergänzt wird Holbeins Gemälde durch die Schilderung und Charakterisierung des Thomas Morus im Brief des Erasmus an seinen Freund Ulrich von Hutten. (Karl Büchner, Die Freundschaft zwischen Hutten und Erasmus. Brief des Erasmus an Ulrich von Hutten über Thomas Morus)

"Wenn Du aber von mir forderst, daß ich Dir den ganzen Morus wie auf einem Gemälde male: könnte ich es doch so vollkommen leisten, wie Du es heftig wünschest; denn auch mir würde es nicht unlieb sein, dabei in der Betrachtung des Freundes zu verweilen, der mir von allen der bei weitem angenehmste. (...) Und um mit dem Teil zu beginnen, wo Dir Morus am unbekanntesten ist: von Gestalt und Maß des Körpers ist er unter Schlankheit, aber doch über auffallender Kleinheit. Aber die Harmonie der Glieder ist so groß, daß hierbei kein Wunsch offen bleibt. Die Hauptfarbe ist weiß, das Gesicht neigt mehr zu hellem Glänzen als zur Blässe, obwohl es von Röte weit entfernt ist; höchstens daß eine zarte Röte nur überall durchleuchtet. Die Haare sind von ins Dunkle spielender Blondheit oder, wenn Du lieber willst, von einer ins Blonde spielenden Dunkelheit. Der Bart ist spärlich. Die Augen bläulich grau, mit leichten Flecken betupft, eine Art, die auf eine überaus glückliche Anlage hinzudeuten pflegt . (...)

Am übrigen Körper ist nichts, was auffiele. Nur die Hände sind ein wenig bäurisch, freilich nur dann, wenn man sie mit dem übrigen Aussehen des Körpers vergleicht. (...)

Seine Stimme ist nicht mächtig, aber auch nicht sehr dünn, sondern derart, daß sie leicht in die Ohren dringt. Sie hat nichts Volltönendes und Weiches, sondern ist just die eines Sprechenden; zum Gesang nämlich scheint er nicht von Natur gemacht, wenn er sich auch an jeder Art von Musik erfreut. Die Sprache ist bewundernswert deutlich und artikuliert. Sie hat nichts Überstürztes oder Stockendes. (...) Er freut sich an schlichter Aufmachung, trägt nicht Seide, Purpur oder goldene Ketten, außer wenn es nicht frei steht, diese anzulegen. Wunderbar zu sagen, wie wenig er sich um das Zeremoniell kümmert, nach dem die große Masse der Menschen die Feinheit der Sitten beurteilt ... (...)

Von Natur ist er nach Freiheit und Muße gar begierig. Aber wie er die Muße, wird sie gegeben, mit Vergnügen genießt, so ist niemand, wofern es die Lage fordert, mehr auf dem Posten oder ausdauernder. Zur Freundschaft scheint er geboren und geschaffen. Er ist ihr lauterster Diener und hält vor anderen zäh an ihr fest. (...)

Sein Hauptvergnügen ist es, Gestalt, Eigenart und Empfinden der verschiedenen Lebewesen anzuschauen. Daher gibt es fast keine Art Vögel, die er nicht daheim hielte, und sonst ein Tier, das im allgemeinen selten ist, wie einen Affen, ein Frettchen, ein Wiesel oder dergleichen; wenn ihm dazu etwas Exotisches oder sonstwie Sehenswertes begegnet, pflegt er es mit größter Leidenschaft einzuhandeln. Und mit diesen Dingen ist sein ganzes Haus eingerichtet, derart daß überall etwas entgegentritt, das die Augen der Eintretenden auf sich zieht. (...)

Immer stand ihm ein Wille zur Seite, der voll höchster Begier war, sich um alle verdient zu machen, und wunderbar geneigt zum Mitleid: den zeigt er jetzt umso mehr, da er mehr zu nützen vermag; die einen unterstützt er durch Geld, andere schützt er durch sein Ansehen, andere fördert er durch Empfehlung. Denen er sonst nicht helfen kann, denen kommt er mit seinem Rat zu Hilfe. Keinen hat er je traurig von sich geschickt. Man kann sagen, Morus ist der öffentliche Beschützer aller Schwachen; er glaubt, ein ungeheurer Gewinn sei ihm zugefallen, wenn er einen Unterdrückten emporgehoben, wenn er einen Verstrickten, in Schlingen Geratenen freigemacht, wenn er einen in Ungnade Gefallenen versöhnt hat. (...) Er ist ein sorgsamer Diener wahrer Frömmigkeit, wenn er auch von allem Afterglauben weit entfernt ist. Er hat seine Stunden, in denen er Gott im Gebet dient, aber nicht, weil es üblich ist, sondern weil es von Herzen kommt. Mit Freunden spricht er so über das Leben der künftigen Welt, daß man erkennt, er spricht aus dem Herzen, und zwar mit den höchsten Hoffnungen. Und so ist Morus auch am Hofe. Und danach gibt es noch Leute, die des Glaubens sind, Christen gäbe es nur in Klöstern. (...) Hier hast Du also das Bild nach einem vortrefflichen Gegenstand von einem schlechten Künstler mäßig gezeichnet. Es wird Dir noch weniger gefallen, wenn es Dir zuteil wird, Morus näher kennenzulernen."

Ein mächtiger Kritiker der Macht

Die Werke des Thomas Morus geben auch Auskunft über sein Denken, seine geistige Haltung, seine Familie und seinen Hausstand.

Schon früh setzt er sich mit den Problemen der Macht und der Staatsform auseinander (Utopia, Löwen 1516, Basel 1518; Epigrammata, Basel 1518).

Etwa im Epigramm "Was ist die beste Staatsverfassung?"

Du fragst, ob Parlament oder König besser regieren?
Keiner, wenn beide schlecht sind, was nicht selten der Fall.
Sind sie beide gut, so ist das Parlament überlegen,
denn durch viele Gute wird viel mehr Gutes erwirkt.
Es wird zwar schwierig sein, so viele Gute zu finden,
daß ein Alleinherrrscher böse ist, findet sich oft.
Und hält ein Parlament zwischen Guten und Bösen die Mitte,
gibt es doch kaum einen König, der Mittelmaß hält.
Denn ein schlechter Senator läßt sich von gutem Rat doch bestimmen,
aber der König beherrscht seine Ratgeber selbst.
Der wird vom Volke erwählt, der andre zur Herrrschaft geboren,
hier regiert der Zufall, die Überlegung herrscht dort.
Zum Senator wird man fürs Volk gemacht, aber der König
denkt, das Volk sei für ihn geschaffen, daß er es regiert. (...)
Wer da meint, daß ein König je satt werden könnte, der täuscht sich,
solch ein Blutegel läßt nicht die Haut los, ehe sie leer.
Doch kann ein Parlament durch Meinungsstreit sich entzweien,
Um so schlimmer, daß dies bei dem König entfällt! (...)

Und schließlich stellte sich für ihn die Frage, ob die Macht überhaupt einem einzelnen Menschen anvertraut werden darf, da diese per se dazu neigt, zu pervertieren und sich selbst zu korrumpieren.

Von der Machtgier

Einen kaum, wenn überhaupt, kannst du unter den vielen
Königen finden, der mit nur einem Reich sich begnügt.
Einer kaum, wenn überhaupt, läßt sich von den Königen finden,
der gut regiert auch nur ein einzelnes Reich.

Im genannten Brief an Ulrich von Hutten bezeugt Erasmus schon früh, dass "Tyrannis ihm immer in besonderer Weise verhaßt gewesen sei". (Brief von Erasmus an Ulrich von Hutten vom 23. Juli 1519)

Pater Familias

Nach der Heirat mit Jane Colt (1505) ließ sich das Paar in Bucklersbury in London nieder. Nach dem frühen Tod seiner Frau und nach der Wiederverheiratung mit Alice Middleton (1511) erwarb das Paar ein Anwesen in Chelsea, damals noch vor den Toren Londons. Im Park ließ Thomas Morus ein neues Gebäude errichten, in dem sich die Bibliothek, die Galerie und eine Kapelle befanden.

Das Haus war der Ort, wo seine Kinder und teilweise auch seine Enkel erzogen wurden. Die häusliche Erziehung war damals etwas Neues, weit bedeutsamer war aber die Tatsache, dass Thomas Morus diese Ausbildung nicht nur seinem Sohn, sondern auch den Mädchen zuteil werden ließ. In dieser häuslichen Bildungseinrichtung lernten die Schüler bei den besten Gelehrten und Lehrern der Zeit ohne Unterschied der Geschlechter Latein, Griechisch, Mathematik, Logik, Astronomie und Rhetorik. (Hans Peter Heinrich, Thomas Morus, S. 35ff.)

Und es ist wiederum Erasmus, der wiederholt besuchsweise im Hause des Thomas Morus lebte und der bezeugt, wie die Erziehung seiner Kinder verlief. "Mit gleicher Freundlichkeit leitet er die ganze Familie, in der es keine Szenen, kein Prügel gibt. Entsteht so etwas, heilt er es sogleich oder legt es bei. Und niemals entließ er jemand als Feind oder selbst in feindlicher Gesinnung. Ja sein Haus scheint ein schicksalhaftes Glück zu haben." (Brief von Erasmus an Ulrich von Hutten vom 23. Juli 1519)

Wie rührend und liebevoll er mit seinen Kindern umging, zeigt das Epigramm "Thomas Morus grüßt seine lieben Kinder Margarete, Elisabeth, Cäcilie und John", das er ihnen von einer Reise, vermutlich von der Gesandtschaftsreise nach Calais (1517), schickt.

(...) Doch ist es nicht zu verwundern, daß ich von Herzen euch liebe,
denn es ist doch eine große Sache, ein Vater zu sein.
Weise hat die Natur mit den Kindern die Eltern verbundcn,
ihre Gemüter mit Herkulesknoten verknüpft.
Daher war ich zu euch stets voll Nachsicht und zärtlich gesonnnen,
nahm euch gar oft voll Liebe auf meinen Schoß,
daher habe ich euch gerne mit Kuchen gefüttert,
hab' euch die reifsten Äpfel und köstliche Birnen gereicht.
Daher habe ich euch angeputzt mit seidenen Kleidern,
und wenn ihr weintet, so hielt ich das einfach nicht aus.
Daß ich euch oft geküsst, müßt ihr wissen, und selten geschlagen,
und meine Rute war wie Pfauenfedern so weich;
und selbst mit der bin ich nur ganz behutsam zu Werke gegangen,
daß keine böse Strieme die zarten Hintern entstellt.
Ach der Mann ist brutal und verdient nicht den Namen des Vaters,
den seines Kindes Träne zu Tränen nicht rührt. (...)

Erasmus nannte diese häusliche Bidlungseinrichtung "eine Schule des Wissens und der Ausübung des christlichen Glaubens" und "eine platonische Akademie auf christlicher Grundlage".

Denn auch die religiöse Erziehung wurde keineswegs vernachlässigt, und Thomas Morus gab dabei das trefflichste Beispiel ab. Vor der Nachtruhe versammelte er die Familie zum Nachtgebet. Er selbst besuchte fast täglich die Messe, sang noch als Lordkanzler in der Schola mit und stand als Messdiener am Altar. Anscheinend wussten es damals Kleriker nicht nur zu ertragen, sondern sogar zu schätzen, dass gestandene Männer den Dienst am Altar versahen, von wo man sie heute vielerorts vertreibt und ihnen zu verstehen gibt, dass ihre Dienste nicht mehr gefragt sind.

Im Sinne tätiger Nächstenliebe verließ er nachts das Haus, um nicht gesehen zu werden und besuchte Arme, um ihnen zu helfen. In Chelsea gründete er ein Armenasyl. Als seine Kornscheunen niederbrannten, tröstete er seine Frau, ermunterte sie und gab ihr Hinweise.

"Darum bitte ich Dich, sei guten Mutes. Geh mit allen Bewohnern unseres Hauses zur Kirche und danke Gott für alles, was er uns gelassen hat. Wenn es ihm gefällt, so wird er unsern Besitz auch wieder vermehren; ist es aber Sein Wille, uns noch weniger zu lassen. so wollen wir uns auch hierin beugen. Ich bitte Dich, suche zu erfahren, was unsere Nachbarn verloren haben. Sag ihnen, sie sollen ohne Sorgen sein; denn ich will keinen Löffel mein eigen nennen, solange irgendeiner von ihnen in Armut darbt. Ich bitte Dich auch, sei mit meinen Kindern und dem ganzen Haushalt fröhlich in Gott. Berate Dich mit Deinen Freunden, wie wir am besten Vorräte an Korn und nächstjährigem Saatgut anlegen können. Überlege Dir auch, ob wir unsere Äcker noch behalten sollen, und erwäge alle Gründe, die dafür oder dagegen sprechen. Meiner Meinung nach wäre es nicht gut, sie jetzt zu verkaufen und unsere Knechte wegzuschicken; wir wollen zuerst gemeinsam darüber sprechen. Solltest du mehr Gesinde haben, als Du brauchst, so mußt Du ihm andere Meister finden, bevor Du es entlässest. Ich könnte es nicht dulden, daß jemand gekündigt wird, bevor er wüßte wohin er sich wenden kann." (Brief aus Woodstock, 3. Sept. 1529)

(Die Briefe des Sir Thomas More. Übergtragen und eingeleitet von Barbara von Blarer. Einsiedeln, Köln: Verlagsanstalt Benziger, 1949, S. 67)

Es gibt eine eindrückliche Federskizze von Hans Holbein dem Jüngeren, die den Haustand von Thomas Morus zeigt und ihn selbst im Kreise der großen Familie. Ein wahrer pater familias.

Utopia

Die Utopia ist heute wohl das bekannteste Werk von Thomas Morus (Löwen 1516, Basel 1518).

Schon von seinen humanistischen Zeitgenossen und Freunden, die alle lateinische sprachen, wurde es hoch geschätzt, und bis in unsere Zeit ist es immer wieder neu übersetzt und aufgelegt worden.

"Seine Utopia, das berühmteste und merkwürdigste seiner Werke, ist zugleich das, worin der Charakter seines Geistes und Herzens sich am lebendigsten abgedrückt hat. So bekannt sie aber dem Namen nach ist, und so oft und in so mancherlei Sprachen sie übersetzt worden, so sind doch wenige, die das Original gelesen, und noch wenigere, die es als einen Abdruck seiner Urhebers gelesen haben."

(C.M. Wielands sämmtliche Wrke. Fünfunddreißigster Band. Vermischte Schriften. Miscellaneen. Leipzig: Verlag von Georg Joachim Göschen, 1840, S. 379)

Mag manches in diesem Werk wie eine gelehrte Spielerei aussehen, ironisch oder satirisch gemeint sein, so scheinen andererseits doch manche Ausführungen wie Kritik an Staatswesen, die Äusserungen zum Priestertum oder zu Vergnügen, Lust und Sinnenfreude bei den Einwohnern von Utopia durchaus ernstgemeinte Gedanken des Verfassers zu sein.

Thomas Morus beschreibt auch die Religion der Utopier. Sie kennen das Frauenpriestertum, was sie von den Christen unterscheidet. Ihre Priester und Gottesdienste schildert er als vorbildlich.

"Das Volk trägt im Gotteshaus weiße Kleider, der Priester bunte Gewänder von wunderbarer Form und Arbeit, aber nicht ebenso kostbarem Material; sie sind nämlich weder mit Gold durchwirkt noch mit seltenen Steinen besetzt, sondern aus Federn verschiedener Vögel so geschickt und kunstvoll hergestellt, daß auch der kostbarste Stoff dem Wert der Arbeit nicht gleichkommen könnte. (...) Sobald der Priester in diesem Ornat aus dem Allerheiligsten hervortritt, werfen sich alle sofort ehrfurchtsvoll zu Boden; dabei herrscht im ganzen Raum eine so tiefe Stille, daß schon der äußere Eindruck dieses Vorgangs einen förmlichen Schauder hervorruft, als ob irgendeine eine Gottheit zugegen sei. Sie bleiben eine Weile am Boden liegen; dann gibt der Priester ein Zeichen, und sie erheben sich. Darauf stimmen sie Gesänge zum Lobe Gottes an, die sie mit Musikinstrumenten begleiten. (...) Zum Schluß sprechen Priester und Volk gemeinsam feierliche Gebetsformeln, die so abgefaßt sind, daß jeder einzelne auf sich beziehen kann, was alle zugleich hersagen. Jeder bekennt darin Gott als den Schöpfer und Lenker der Welt und als den Spender aller übrigen Güter, sagt Dank für die Menge der empfangenen Wohltaten ... (...)

Wenn aber diese Staatsform die beste und seine Religion die richtigste sei, dann möge Gott ihm selbst Beständigkeit verleihen und die übrigen Menschen alle zu derselben Lebensweise und derselben Gottesanschauung führen, wenn es nicht in seinem unerforschlichen Willen liege, sich an dieser Mannigfaltigkeit der Religionen zu erfreuen." (Klaus J. Heinisch, Der utopische Staat, S. 105f.)

Auch über das Verhältnis der Utopier zu Tugend, Glückseligkeit und Lust äußert sich Thomas Morus ausführlich.

"Schließlich überzeugt die Religion ein gläubiges Herz leicht, daß Gott die vergängliche und geringfügige Lust mit unermeßlicher und nie endender Freude vergilt.

Darum also glauben sie auf Grund reiflicher Prüfung und Überlegung, alle unsere Handlungen und darunter sogar auch die tugendhaften zielten zuletzt auf die Lust als den Endzweck und eigentliche Glückseligkeit. Lust nennen sie jede Regung und jeden Zustand des Leibes und der Seele, die naturgemäß auszukosten Genuß verschafft. Das natürliche Verlangen danach führen sie nicht ohne Grund an. Denn wie alles von Natur aus angenehm ist, was man nicht unrechtmäßig begehrt, wofür man nicht etwas noch Angenehmeres aufgibt und worauf keine Beschwerde folgt, dem nicht nur das sinnliche Verlangen, sondern auch die gesunde Vernunft zusgtrebt, so trägt ihrer Meinung nach alles das nicht zur Glückseligkeit bei, was die Menschen sich gegen die Natur als angenehm vorspiegeln ... (...) Ja auch jene Genüsse, die durch Ohren, Augen und Nase vermittelt werden und die nach dem Willen der Natur dem Menschen ureigen und eigentümlich sind ... auch diese Freuden, sage ich, suchen sie als eine willkommene Würze des Lebens. In allem aber halten sie die Regel ein, daß der größeren Lust nicht eine geringere im Wege stehen und das Vergnügen nicht Unbehagen nach sich ziehen dürfe, wie es ihrer Ansicht nach unvermeidlich ist, sofern es unehrbar ist. (a.a.O. S. 72 - 77)

Damit distanzierte sich Thomas Morus nach Walter Nigg "von Augustinus, der aus nicht ganz überwundenen manichäischen Gründen den Genuß ablehnte. Seit dem Bischof von Hippo ist der Hedonismus im philosophischen Denken verpönt, während im praktischen Leben beinahe alle Menschen dem Lustprinzip frönen. Für Thomas Morus war die Bejahung des Genusses ein Zeichen der Natürlichkeit: Denken und Leben bildeten bei ihm eine Einheit."
(Walter Nigg, Die Antwort der Heiligen. Wiederbegegnung mit Franz von Assisi, Martin von Tours, Thomas Morus. Freiburg: Verlag Herder, 1980, S. 138)

Der Konflikt mit der Macht

Doch alsbald sollten Laufbahn und Leben des Thomas Morus auf Grund der politisch-religiösen Vorfälle und Entscheidungen in England eine dramatische Wende erfahren. König Heinrich VIII. vermählte sich mit achtzehn Jahren mit Katharina von Aragonien. Von den Kindern, die sie ihm gebar, überlebte nur ein Mädchen, zur Enttäuschung des Königs kein Thronfolger. Von der ehelichen Treue schien der König nicht viel gehalten zu haben. Unter anderen hatte er Liaisons mit Elisabeth Blount und Elisabeth Boleyn-Howard. In der Folge suchte Heinrich VIII. seine Ehe von Papst Clemens VII. annulieren zu lassen. Der König, dem es darum ging, den Fortbestand seiner Dynastie zu sichern, entflammte in stürmischer Leidenschaft zu Anna Boleyn. Diese weigerte sich, seine Konkubine zu werden, sie wollte eine rechtmäßige Ehe und damit Königin werden. Als sich der Papst der Auflösung der Ehe mit Katharina von Aragonien widersetzte, verstieß der König seine rechtmäßige Gattin und heiratete Anfang 1533 heimlich Anna Boleyn; am 1. Juni 1533 wurde sie zur Königin gekrönt.

In der Folge betrieb Heinrich VIII. die Loslösung von Rom und in England seine Anerkennung als oberstes Oberhaupt der Kirche. Es kam zu Konfiskationen von Kirchen- und Klostergütern, der klösterliche Grundbesitz wurde weitgehend verkauft, und bis 1539 waren alle Klöster aufgelöst.

Die Unterwerfung des Klerus unter Heinrichs Suprematie erfolgte am 15. Mai 1532, und am 16. Mai legte Thomas Morus das Amt als Lordkanzler nieder und gab das große Staatssiegel zurück. Am 3. November 1534 wurde im "Act of Supremacy" die königliche Suprematie über die Kirche von England Gesetz.

Wer den Eid auf diese Akte nicht ablegte, wurde des Hochverrats bezichtigt, und die Strafe darauf bedeutete Hängen, Ausweiden und Vierteilen.

Episkopat und Klerus haben damals vor der Staatsmacht eines skrupellosen und korrumpierten Despoten kläglich kapituliert, ähnlich wie das heute weite Teile des Episkopats, vor allem nördlich der Alpen, vor der Politik und den Medien tun, aber noch weit kläglicher, ohne Gefahr für Leib und Leben, nur um des persönlichen Ansehens willen.

Und damals wie heute gilt, was Peter Berglar in seiner Biographie von Thomas Morus feststellt (S. 406):

"Dem Bürger des 20. Jahrhunderts braucht man nicht eigens zu erklären, daß der handfeste physische Terror des 'daemonium meridianum' die Geister scheidet. Auch Heinrich und Cromwell machten die angenehme Erfahrung, daß bei ihrer 'Reform' auf einen Märtyrer mindestens zehn Akklamateure und auf diese beiden Arten von Exponenten mehrere tausend gleichgültige Anpasser entfielen. Sie, die man heute gern als 'schweigende Mehrheit' bezeichnet, machen zwar die Greuel der Weltgeschichte erst möglich, aber sie werden nie aktenkundig; sie gewinnen keine historische Farbe und erscheinen vor keinem irdischen Gericht."

Walter Nigg setzt den Akzent etwas anders, kommt aber letztlich zu einem ganz ähnlichen Schluss (a.a.O. S. 174).

"Nach der Meinung der Welt hätte sich Thomas Morus den Launen seines Königs anpassen müssen, und als Christ konnte er dies nicht tun. Darum verachteten ihn viele seiner anpassungssüchtigen Zeitgenossen und nannten ihn einen Toren."

Man mag dies drehen und wenden, wie man will, die Humanisten des 16. Jahrhunderts hätten das mit einem Wort des Euripides (Iphigenie in Aulis) abgetan: το πολυ γαρ δεινον κακον. - Denn die Menge ist ein schrecklich Übel.

Nur wenige Geistliche, eine Anzahl Kartäuser, John Fisher, der Bischof von Rochester, und Thomas Morus haben Haltung gezeigt und widerstanden.

Das Martyrium

Am 13. April 1534 verweigerte Thomas Morus vor den Lords den Eid auf die Suprematsakte, worauf er festgenommen und am 17. April in den Tower überstellt wurde.

In einem Musterprozess wurden zwei Priester und drei Kartäuser, weil sie den Suprematsanspruch Heinrichs VIII. nicht anerkannten, des Hochverrats schuldig gesprochen. Am 4. Mai 1535 wurden Richard Reynolds, Brigittinermönch, John Hole, Vikar von Isleworth, sowie die drei Kartäuser John Houghton, Augustin Webster und Robert Lawrence hingerichtet. Die Hinrichtung war eine grausame Abschlachtung. Der kaiserliche Gesandte Eustachius Chapuys berichtet darüber an Kardinal Antoine Perrenot de Granvelle, Minister Karls V.:

"Nachdem man sie unter den Galgen geschleift hatte, ließ man die Verurteilten einen nach dem anderen auf einen Karren steigen, der unter ihnen weggezogen wurde, so daß sie hingen; danach wurde sofort der Strick durchschnitten, und man richtete sie auf und stellte sie an einer dafür hergerichteten Stelle auf, um sie stehend zu erhalten und ihnen die Schamteile abzuschneiden, die ins Feuer geworfen wurden; man schnitt sie auf und riß ihnen die Eingeweide heraus, hierauf wurde ihnen der Kopf abgeschlagen und ihre Körper gevierteilt. Zuvor hatte man ihnen das Herz ausgerissen und ihnen damit Mund und Gesicht eingerieben."
(Heinrich VIII. von England in Augenzeugenberichten. Herausgegeben von Eberhard Jacobs und Eva de Vitray. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1980, S. 164)

Am 19. Juni 1535 wurden weitere Kartäuser, unter ihnen Humphrey Middlemore, William Exmeve und Sebastian Newdigate, gefoltert und hingerichet, und John Fisher und Thomas Morus mussten befürchten, dass ihnen dasselbe Schicksal bevorstand.

Bischof John Fisher wurde am 22. Juni 1535 hingerichtet, aber zum Tode durch Enthauptung "begnadigt".

Thomas Morus war schon weit mehr als ein Jahr im Tower eingekerkert; er wusste von der Folter und Hinrichtung der Kartäuser und von Bischof John Fisher, und er hatte Angst. Schreibend versuchte er, diese im Kerker zu überwinden, etwa im Traktat "De tristitia, tedio, pavore et oratione Christi ante captionem eius" (unvollendet) oder im "Dialogue of Comfort against Tribulation". Das fiktive Gespräch vom Trost im Leid spielt in Ungarn, das von den Türken bedroht wird, zwischen dem Onkel Anton und dem Neffen Vincenz, der seinen Onkel besucht, um in der Türkengefahr (1526 Sieg der Türken bei Mohácz) Ermunterung und Trost zu finden. Denn Nachrichten von entsetzlichen Gräueln und von Christenverfolgungen breiten sich aus, und die Angst wächst. Die Analogie von Sultan Suleiman II. zu Heinrich VIII. ist offensichtlich. Auch Vincenz hat Angst: "Wenn ich aber weiter bedenke, welche Qual und welcher Schmerz meinen Körper bedrohen, dann befällt mich eine Furcht, die mich erzittern lässt." (Thomas Morus, Trost im Leid. Ein Dialog. Ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Martha Freundlich. München 1951, 244f.)

Diese Angst des ungarischen Vincenz im fiktiven Dialog ist auch die Angst des Thomas Morus in der Realität Englands. So äußert er sich gegenüber der Tochter Margret und Magister Leder. "Bei dieser Betrachtung mußte ich feststellen, daß mein Körper viel stärker vor Schmerzen und Tod zurückschreckt als es sich für einen gläubigen Christen geziemt." (Brief 1534, im Tower) Schließlich gelingt es ihm aber, diese Angst zu überwinden: "Ich will dankbar dafür sein, daß ich seit meinem Hiersein den Tod jeden Tag weniger fürchte." (Brief 1534, im Tower)

"Wenn mir jemals das Unglück zustoßen sollte, den Eid zu beschwören - ich hoffe zwar auf Gott, daß er es nie dazu kommen lassen wird - so könnt Ihr sicher sein, dass er mir nur durch schwere Mißhandlungen abgerungen worden ist." (Brief vom 16. Jan. 1535)

Weit mehr als um die Verteidigung des Papsttums, das sich in der Zeit der Renaissance nicht gerade von seiner besten Seite zeigte, und der Autorität des Heiligen Stuhles, dürfte es Thomas Morus um die Unauflöslichkeit der Ehe gegangen sein. Diese Vermutung wird gestützt durch die Tatsache, dass Thomas Morus dem Lordkanzler Sir Thomas Audeley in einem Verhör entgegnet:

"Ihr sucht mein Blut nicht so sehr wegen dieses Supremats, sondern weil ich die Ehe nicht billigen wollte." (Peter Berglar, Thomas Morus, S. 424)

Das war für ihn das punctum saliens.

Und in unsern Tagen wird im Innern der Kirche von führenden Vertretern im Kardinalspurpur die Unauflöslichkeit der Ehe, für die Thomas Morus unter Einsatz seines Lebens gekämpft hat, erneut in Frage gestellt.

Die Verfolgung des Thomas Morus nahm ihren Lauf. Er wurde am 30. April, am 7. Mai, am 3., 11., 12. und 24. Juni verhört. Am 1. Juli fand der Prozess gegen ihn in der Westminster-Hall statt. Auf Grund einer meineidigen Falschaussage des Kronanwalts Richard Rich wurde er wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Auf die Frage, ob er noch etwas vorzubringen habe, sprach Thomas Morus sein Schlusswort:

"Mehr nicht als dies: wie wir in der Apostelgeschichte lesen, war Paulus beim Tode des heiligen Stephanus zugegen und hütete die Kleider derer, die ihn steinigten. Dennoch sind heute beide Heilige im Himmel und werden dort ewig Freunde bleiben. So hoffe ich - und ich werde von Herzen darum bitten - daß, obschon Ihr alle mich auf Erden verurteilt habt, wir einander dennoch zu unserem ewigen Heil im Himmel begegnen werden." (zitiert nach Peter Berglar, Thomas Morus, S. 425)

Am 6. Juli 1535 wird Thomas Morus, nachdem auch er zur einfachen Enthauptung begnadigt worden war, hingerichtet.

Damit erlitt Thomas Morus ein ähnliches Schicksal wie sein Taufpate Thomas von Canterbury (Thomas Becket); auch er war Lordkanzler, geriet in Konflikt mit seinem König Heinrich II. und wurde - vermutlich auf dessen Geheiß - ermordet.

Heiligsprechung nach 400 Jahren

Am 29. Dezember 1886 wurden John Fisher und Thomas Morus durch Papst Leo XIII. seliggesprochen.

Am 19. Mai 1935 wurden beide von Papst Pius XI. heiliggesprochen.

Damals, als das geschah, hat man sich in Rom noch überlegt, aus oder zu welchem Anlass und aus welchem Grund eine Heiligsprechung erfolgt und sich nicht dem Druck der Strasse bequemt. In diesem Falle, am 19. Mai 1935, wollte man wohl schon „Beispiele“ für den Widerstand gegen den Missbrauch der Staatsmacht in Deutschland und Russland geben, in tyrannos.

Thomas Morus wird Recht behalten gegenüber seinem König. Im Stück von Jean Anouilh spricht das der Monarch selbst aus:

"Et même si je lui fais son procès et qu'on lui coupe la tête, il m'aura éternellement dit non!" (Auch wenn ich ihm den Prozess mache und man ihn enthauptet, er wird mir ewig nein gesagt haben.) (Jean Anouilh, Thomas More ou l'homme libre)

Durch Jahrhunderte war man der Meinung, der Weg zur Heiligkeit sei Ordensleuten und Priestern vorbehalten, und man muss weit bis ins 5. Jahrhundert zurückgehen, um dem heiligen Ehepaar Hilarius und Quieta, das im ehemaligen Kloster Saint-Bénigne in Dijon begraben liegt, oder aber dem vorbildlichen Weltmann Thomas Morus zu begegnen.

"Einzig der Heilige, der als Weltmann mitten im Leben steht, vermag dem Christen von heute zu einem wirklichen Vorbild zu werden." (Walter Nigg, Die Antwort der Heiligen. Wiederbegegnung mit Franz von Assisi, Martin von Tour, Thomas Morus. Freiburg: Verlag Herder, 1980, S. 120)

Und genau dieser Forderung von Walter Nigg vermag der heilige Thomas Morus zu genügen. Er war ein Weltmann, war Ehemann, Familienvater, Gelehrter, Humanist, Anwalt, Richter und Lordkanzler. Er ist der Heilige des Laienstandes.

Der große Hagiograph und Theologe Walter Nigg beantwortet die Frage, was uns Thomas Morus heute bedeutet (a.a.O. S. 176):

"Uns bedrängt die Frage: Was bedeutet uns Thomas Morus heute? Ist es zufällig, daß auch in Deutschland so viele Kirchen nach seinem Namen benannt worden sind? In einer Zeit des rapiden Gewissensschwundes leuchtet er als der Heilige des Gewissens um so heller, besaß er doch das, was uns fehlt. Die Frage 'Thomas Morus heute' ist nicht aus der Luft gegriffen. Anna Boleyn brach beim Anblick von Holbeins Gemälde in den erschrockenen Ausruf aus: 'O weh, es ist mir doch, als ob der Mensch auf dieser Tafel noch lebte!' Nicht nur das belastete Gewissen dieser Frau ließ sie beim Anblick des Gemäldes zusammenfahren, ihre Äußerung enthält auch eine endgültige Wahrheit. Wir spüren und fühlen es: Thomas Morus lebt, er lebt unsichtbar unter uns, wir können ihn fragen, und er antwortet uns, ja er führt uns dem ewigen Leben entgegen. Der heilige Thomas Morus ist in unserer Gegenwart wichtiger, als er es damals war, und wahrscheinlich wird er in naher Zukunft noch bedeutsamer werden, wenn die harten Kämpfe auf die Christenheit zukommen. Diese Auseinandersetzungen werden wir nur bestehen, wenn wir uns ganz neu auf die unsichtbaren Mitstreiter besinnen, die uns wie Thomas Morus ganz konkret lehren, das Leben für Gott in die Schanze zu schlagen."

Literatur

Peter Berglar, Die Stunde des Thomas Morus. Einer gegen die Macht. Köln: Adamas Verlag, 1999 (Erstausgabe 1978)
Karl Büchner, Die Freundschaft zwischen Hutten und Erasmus. Brief des Erasmus an Ulrich von Hutten über Thomas Morus. Zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Karl Büchner. Mit einem biographischen Essay und Anmerkungen des Übersetzers. München: Verlag Karl Alber, 1948
R.W. Chambers, Thomas More. Ein Staatsmann Heinrichs VIII. München, Kempten: Verlag Josef Kösel, 1946
Anton J. Gail, Erasmus von Rotterdam in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1974 (rowohlts monographien 214)
Hans Peter Heinrich, Thomas Morus mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1984 (rowohlts monographien 331)
Johan Huizinga, Europäischer Humanismus: Erasmus. Hamburg: rowohlts deutsche enzyklopädie 78, 1958
Walter Nigg, Die Antwort der Heiligen. Wiederbegegnung mit Franz von Assisi, Martin von Tours, Thomas Morus. Freiburg: Verlag Herder, 1980
Walter Nigg, Thomas Morus, der Heilige des Gewissens. 48 Farbtafeln von Helmuth Nils Loose. Freiburg i.Br.: Verlag Herder, 1978
Jacobs/Vitray, Heinrich VIII. von England in Augenzeugenberichten. Herausgegeben von Eberhard Jacobs und Eva de Vitray. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1980
Thomas Morus, Utopia (»Libellus vere aureus nec minus salutaris quam festivus de optimo reipublicae statu deque nova insula Utopia«), Löwen 1516, Basel 1518 
Deutsch: Der utopische Staat. Morus, Utopia; Campanella, Sonnenstaat, Bacon, Neu-Atlantis. Übersetzt und mit einem Essay 'Zum Verständnis der Werke', Bibliographie und Kommentar herausgegeben von Klaus J. Heinisch. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1960 (Rowohlts Klassiker der Literatur und Wissenschaft 68/69) Zürich: Manesse Verlag, 2004
Die Briefe des Sir Thomas More. Übertragen und eingeleitet von Barbara von Blarer. Einsiedeln, Köln: Verlagsanstalt Benziger, 1949
Thomas Morus, Briefe der Freundschaft mit Erasmus. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Hubertus Schulte Herbrüggen. München: Kösel-Verlag, 1985
Thomas Morus, Gebete und Meditationen. München: Kösel-Verlag, 1983
Thomas Morus, Epigramme. Berlin: Union Verlag, 1985
Thomas More, Trost im Leid. Ein Dialog. Ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Martha Freundlich. München 1951 (Dialogue of Comfort against Tribulation)
Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften. Herausgegeben von Werner Welzig. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006 (8 Bände)
Erasmus von Rotterdam. Auswahl und Einleitung von Friedrich Heer. Frankfurt a.M.: Fischer Bücherei, 1962
Jean Anouilh, Thomas More ou l'Homme libre. Paris: La Table Ronde, 1987
Robert Bolt, A Man for all Seasons (1954, Uraufführung am Globe Theatre London, 1960) (verfilmt mit Paul Scofield, Robert Shaw, Orson Welles unter dem Titel "A man for all Seasons - Ein Mann zu jeder Jahreszeit", 1966)
Reinhold Schneider, Der Traum des Heiligen (1942). - In: Reinhold Schneider, Der große Verzicht. Erzählungen, Drama. Gesammelte Werke, Band 3. Frankfurt a.M.: Insel, 1978
Stefan Zweig, Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1981 (Erstausgabe 1938)

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